Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
Sie haben Angst vor uns.«
»Du bist fein gekleidet, Robert. Aber was soll’s. Da vorne, die Mühle. Könnte sein, dass der Müller gerne Wein säuft.«
»Fragen wir ihn.«
Das Tor stand offen, zwei Müllerknechte beluden einen Wagen mit Mehlsäcken, und das Rumpeln des Mühlsteins drang aus dem Gebäude. Zwei Kettenhunde knurrten die Besucher unfreundlich an.
»Wir suchen den Müller«, rief Marian gegen das Geräusch an, und einer der Knechte brüllte: »Meister Willem!«
Ein vierschrötiger Mann kam aus dem Mühlengebäude und stäubte weißes Mehl von seinem Kittel. Er trat selbstbewusst zu ihnen, musterte sie kurz und fragte: »Euer Begehr, werte Herren?«
»Mein Name ist Marian vom Spiegel, mein Begleiter Robert van Doorne. Wir suchen meine Schwester Alyss. Es heißt, Ihr habt Wein bei ihr bestellt.«
»Wein? Bei Eurer Schwester? Seid Ihr von Sinnen? Ich bin ein verheirateter Mann …«
»Und Alyss vom Spiegel ist eine Weinhändlerin. Sie und ihr Knecht sind gestern um die Mittagszeit zu Euch gekommen, zwei Fässer Burgunder abzuliefern.«
»Dann hat sie Pech gehabt, Herr. Hier war gestern niemand anwesend. Wir haben Tauffest bei meinem Bruder gehalten, draußen in Sülz. Hätt vielleicht besser den Wein Eurer Schwester mitgenommen. Die Pferdepisse, die sie uns da gereicht haben, konnte einem den Magen verbrennen.«
»Niemand war hier im Anwesen?«
»Nein, niemand. Und auch keine Weinfässer. Man hat Euch falsch unterrichtet.«
Marian und Robert sahen sich ratlos an.
»Könnte ein anderer hier in der Gegend Wein geordert haben, Meister Willem?«
Der schnaubte kurz.
»Die Bauern hier keltern ihr eigenes Gesöff, Burgunder kann sich keiner von denen leisten. Aber die Herren von Aposteln, die solltet Ihr befragen.«
»Mag sein. Habt Dank für Eure Antworten. Falls Euch etwas auffällt, Meister Willem, schickt Botschaft an das Haus vom Spiegel.«
»Ist Eure Schwester jung und hübsch, Herr?«
»Schön und geschäftstüchtig und von höchst ehrbarem Charakter.«
»Ach, wisst Ihr …«
Robert fiel Marian in den Arm, und der Müller ging lachend zum Mühlenhaus zurück.
»Beruhige dich, Marian. Er kennt Alyss nicht.«
Marian drehte sich um und stapfte aus dem Hof.
»Sie würde nie ohne Grund einfach verschwinden.«
»Wenn sie einen Grund hatte? Lore hat ihre tiefe Trauer bemerkt.«
»Sie hat bei unseren Eltern immer eine sichere Zuflucht, Robert. Und Catrin hätte doch auch gemerkt, wenn die Schwermut sie übermannt hätte.«
»Ja, das stimmt wohl. Außerdem – warum sollte sie Peer erschlagen?«
Marian hielt seine Schritte ein und starrte seinen Schwager an.
»Ich bin ein Idiot. Klar, es war Gewalt im Spiel. Jemand wusste, dass der Mühlenhof gestern unbewohnt war, und hat sie mit dem Auftrag, Wein zu liefern, dorthin gelockt.«
»Ob mit oder ohne Wissen des Müllers.«
»Den man deshalb noch mal befragen sollte.«
»Nicht wir und nicht jetzt, Marian. Wir haben nun eine Vorstellung davon, was geschehen sein könnte, lass uns nachdenken und dann weitersuchen.«
»Ich muss mich mit meinen Eltern beraten, Robert. Und mit den Wachen sprechen. Himmel, mir platzt gleich der Schädel.«
»Geh nach Hause. Wir können, ohne mehr zu wissen, nichts weiter tun, als alle Kleinigkeiten zusammenzutragen. Ich werde das Hauswesen noch einmal gründlich befragen. Immerhin – Lucien hat sich an die Schafenpforte erinnert. Wer weiß, vielleicht kommt noch mehr heraus.«
»Seht Alyss’ Bücher gründlich durch, auch das Haushaltsbuch.«
Sie hatten den Alter Markt erreicht, und Robert legte Marian die Hand auf die Schulter.
»Ja, und nun geh und sprich mit deinen Eltern. Sie brauchen dich.«
Marian sah zu dem hohen, eindrucksvollen Steingebäude hin, dem Hauptsitz derer vom Spiegel, das beeindruckende Haus einer alten, ehrenwerten Familie.
Er hatte sich immer klein und unbedeutend gefühlt.
Irgendwann in den letzten Monaten war dieses Gefühl von ihm gewichen.
Er war der Erbe, der Nachkomme dieser Familie.
Und sein Vater, der allmächtige Ivo vom Spiegel, betrachtete ihn mit Anerkennung als seinen Nachfolger.
Er würde seine Schwester finden.
7. Kapitel
A lyss drehte sich auf ihrem Lager um. Alle Glieder schmerzten, ihre Kehle war wie ausgedörrt. Aber immerhin hatte man ihr die Fesseln abgenommen und eine weiche Decke über sie gelegt. Eine Frau hatte das getan, bald nachdem man sie in die Kemenate gebracht hatte. Eine verschleierte, schweigsame Frau, die ihr als Erstes den Knebel aus dem
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