Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
Dabei plauderte ihre Helferin in ihrer so angenehm samtenen Stimme unablässig weiter, pries ihre feine Haut und die glänzenden schwarzen Haare, kämmte sie und flocht sie zu langen Zöpfen.
»Wo bin ich hier?«, wollte Alyss wissen, doch ihre Zunge mochte nicht recht gehorchen, und ihre Worte flossen ineinander über.
»In einer schönen Kemenate hoch oben im Turm. Wenn es Euch zu kalt wird, werde ich ein Feuer im Kamin machen, ein schönes, prasselndes Feuer, in dessen tanzende Flammen ihr blicken könnt. Hier, nun esst, werte Frau. Ein junges Hühnchen, süße Möhrchen, eine Buttersoße mit Kräuterlein und helles, frisches Brot. Honigkuchen und kleine Pastetchen mit Äpfeln und Rosinen, süffiger roter Wein.«
Ja, das Hühnchen war köstlich, das Brot knusprig, die Pasteten entfalteten eine Sensation auf ihrer Zunge. Hungrig aß Alyss die Schüsseln leer und trank mehr von dem Wein. Ihre Gastgeberin plauderte unentwegt, doch weder verriet sie ihr, wer sie war, noch warum Alyss sich in diesem Turm befand. Sie räumte schließlich den Tisch ab, füllte den Weinkrug am Fenster erneut auf und half ihr, sich wieder auf das Bett zu legen.
Die Tür fiel zu, der Riegel wurde vorgeschoben.
Alyss hatte Mühe, sich selbst auf ihrem Lager zurechtzufinden – es war ein seltsames Gefühl des Schwebens, das sie überkam. Und mit diesem Gefühl versank sie in farbenfrohe Träume.
8. Kapitel
L angsam zogen die Felder an ihnen vorbei, die ersten strohgedeckten Katen von Riehl tauchten am Ufer auf, an dem die schweren Pferde auf dem Treidelpfad den voll beladenen Niederländer zogen. John stand auf dem Deck und schaute zu ihnen hinüber. Bald würde er zu Hause sein.
Zu Hause in einem Heim, das ihn, und hoffentlich auch seinen jungen Begleiter, mit offenen Armen aufnehmen würde. Er merkte, dass er lächelte. Seine dornige Rose würde ihn zuerst einmal kräftig pieksen. Er hatte sich schon einige honigsüße Worte zurechtgelegt, mit denen er ihre Stacheln herausfordern würde. Später, ja, später vielleicht, wenn die abendliche Ruhe sich über die Stadt gesenkt hatte und das nimmermüde Hauswesen allmählich zur Ruhe kam, dann würden die Dornen schwinden, und samtzarte Blütenblätter … Dann, so hoffte er, würde er Ruhe finden in den Armen seiner Mistress.
»Worüber lächelt Ihr, Master John? Die Häuser hier sind sehr hässlich. Und diese Pferde da sind es nicht minder.«
»Es sind arbeitsame Tiere, Cedric, und die Behausungen bewohnt von Bauern. Fandest du die Ackergäule und die Katen eurer Pächter schöner?«
»Es sind englische Gäule und unsere Pächter.«
»Das ist ein Argument. Aber du wolltest den Handel kennenlernen, also wirst du dich auch mit fremden Pferden und Gebäuden anfreunden müssen. Und ich habe gelächelt, youngling , weil wir in kurzer Zeit ein Haus betreten werden, das ich für das gemütlichste unter Gottes Sonne halte.«
Cedric schien nicht völlig überzeugt, hielt aber den Mund. John nahm es wohlwollend zur Kenntnis. Der Junge war hochnäsig und verwöhnt, aber er lernte schnell. Allerdings würde die Zukunft ihm noch einige Prüfungen auferlegen. Mistress Alyss führte ihr Haus und ihr Geschäft mit nachdrücklicher Hand und hatte schon ganz andere Wesen zu zähmen gewusst.
Wieder lächelte John.
Vor allem einen Jagdfalken.
Diesmal hatte er kein Tier dabei, das er in ihre Obhut geben wollte. Einen Gerfalken, einen martialischen Hahn, einen schwanzlosen Spitz, eine Schar hartschnäbeliger Gänse und eine räudige Eselin hatte er ihr schon aufgebürdet. Diesmal war es ein Kleinod, das er bei sich trug.
»Der Hafen!« Jetzt packte Cedric offensichtlich auch die Vorfreude auf den Landgang. »Schaut, das sind ja Hunderte von Schiffen!«
»Hunderte vielleicht nicht, aber Köln ist eine wichtige Stadt und hat das Stapelrecht. Lass uns den Schiffsführer fragen, wo er anzulegen gedenkt.«
Sie erhielten die Auskunft, dass Johns Handelsknecht Edward einen Landungsplatz am Hafengassentor vorbereitet hatte und dass sogleich die Ruderer an Bord kommen würden. Die Treidelpferde hatten ihre Pflicht getan, auf dem letzten Stück musste Menschenkraft das schwere Schiff bewegen, um es zwischen den ankernden Niederländern hindurchzumanövrieren.
Sehr langsam glitten sie nun am Kai vorbei, hinter dem die Stadtmauer aufragte. Und hinter der Mauer ragten die Stapelhäuser auf, in denen alle Waren eingelagert wurden, die Köln passierten. Hier hatten die Bewohner die Möglichkeit, die erste
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