Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
Fragen.
»Wo befindet sich Peer jetzt, Robert?«
»Die Beginen haben ihn oben in seiner Kammer aufgebahrt. Morgen wird er zu Grabe getragen.«
»Bei Severin hat man ihn gefunden. Auf welche Weise?«
»Er lag am Straßenrand, halb verdeckt durch einen Busch. Seine Taschen waren leer, die Stiefel von den Füßen gezogen.«
»Räuber?«
»Leichenfledderer.«
»Gab es Blutspuren dort, wo er lag?«
Robert sah ihn nachdenklich an.
»Ich bin an der Stelle gewesen und habe mich umgeschaut. Nein, Blut war dort nicht. Aber der Schlag auf den Kopf hat eine blutige Wunde hinterlassen. Ich nehme an, er wurde an anderer Stelle getötet und dann dorthin gebracht.«
John nickte.
»Den Karren fand man am Friesentor. Hat man Blutflecken darauf entdeckt?«
»Ich habe nicht darauf geachtet. Der Wagen steht hier im Stall.«
»Wir werden ihn genau untersuchen. Alyss und Peer sind zur Schafenpforte gefahren, Peer und den Karren hat man von dort fortgebracht – es müssen also mindestens zwei Leute daran beteiligt gewesen sein. Das Pferd ist noch nicht wieder aufgetaucht?«
»Marian sucht danach, er hat sich bei den Pferdehändlern umgehört.«
»Wenn man Mistress Alyss entführt hat, wird man sie bewusstlos geschlagen haben. Es geschah am hellen Tag, und irgendwie muss man sie ungesehen fortgebracht haben. Durch das Friesentor? Oder zu den Friesen? Robert, dein Bruder Arndt hat mit den Friesen in Marienhafe einen Händel gehabt. Sollte es eine Rache für Yskalts Tod sein?«
Robert schauderte.
»So weit haben wir noch nicht gedacht.«
»Wir werden das prüfen. Jetzt sehe ich mir den Karren an.«
John ging alleine in die Remise, seine Gedanken überschlugen sich. Wohin mochte man Alyss gebracht haben und auf welche Weise? Sicher in Decken oder Säcke gewickelt, gefesselt und geknebelt. Sie war ein energisches Weib und gewiss schwer zu bändigen. Also musste man sie hinterrücks überfallen haben. Auch Peer war ein kräftiger Mann gewesen. Ein Hinterhalt, gut vorbereitet, mindestens zwei, wenn nicht drei Männer.
Der Karren wies keinerlei verdächtige Spuren auf, aber das war möglicherweise auch von den Verbrechern bedacht worden, denn das Fuhrwerk war etlichen Leuten bekannt. Vermutlich hatte man es leer zum Friesentor gebracht, dort das Pferd abgeschirrt und weiter weg geführt. Ein anderer musste, vielleicht mit einem weiteren Karren, die beiden Menschen fortgebracht haben.
Wohin, verdammt?
Die Eselin trottete in den Stall und begann Heu aus ihrer Krippe zu zupfen. John musterte das Grautier nachdenklich. Bevor er nach England abgereist war, hatten sie es einem Pferdehändler abgekauft, ein räudiges, abgemagertes, misstrauisches Geschöpf, das nur Schläge und schwere Lasten kannte. Inzwischen waren seine Rippen von glattem Fell bedeckt. Das Tier schien auch sein Misstrauen verloren zu haben und wedelte nur mit den Ohren, als er sich ihm näherte.
»Ihre gütige Hand hat dir geholfen, was, Jennet?«
Die Eselin mampfte weiter und ließ es zu, dass er ihr mit der Hand über die Flanke fuhr. Alte Narben fühlte er, aber auch kräftige Muskeln.
»Wie haben sie es angestellt? Es muss ihr jemand einen Auftrag erteilt haben. Jemand, der wusste, dass der Müller am Samstag zur Taufe gehen wollte. Damned, das war wohl kein Geheimnis.« Jennet gab einen zustimmenden Laut von sich, und John spann seine Gedanken weiter. Wer immer sein Korn zur Mühle brachte, würde es erfahren haben. Darüber hinaus auch alle Nachbarn, Knechte und Mägde. Wer aber hatte Alyss die Bestellung übermittelt? Ein jeder, der sich als Handlanger des Müllers ausgab, konnte es gewesen sein.
Auch keine hilfreiche Spur.
Warum hatte sie die Lieferung nicht in ihr Buch eingetragen? Warum hatte sie niemandem gesagt, wohin sie fahren würde? Warum hatte sie Peer begleitet?
Unruhig verließ John den Stall. Durch die Toreinfahrt rumpelte ein schwerer Frachtkarren, den Edward begleitete.
Es gab auch noch andere Dinge zu tun, die dringend Johns Aufmerksamkeit bedurften. Nachdem die Tuchballen im Lager verstaut waren, würde er Marian aufsuchen und hören, wie viele Antworten der inzwischen gefunden hatte.
Mit aller Macht verbot John seiner Fantasie, sich vorzustellen, wie seine Mistress in einem feuchten Kerker schmachtete.
9. Kapitel
M arian hatte eine unruhige Nacht verbracht und war schon im Morgengrauen aufgestanden, um im Kontor die Warenlisten zu kontrollieren. Am Abend hatten er und John lange zusammengesessen und Überlegungen angestellt.
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