Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
Viel Nützliches war nicht dabei herausgekommen, sie beide waren zu lange fort gewesen, um beurteilen zu können, ob es noch immer rachsüchtige Personen gab, die Arndt van Doorne betrogen oder übervorteilt hatte. Das aber war ihrer beider schlimmster Verdacht.
Für den heutigen Tag war Peers Beerdigung angesetzt, danach aber hatte Marian vor, Trude de Lipa aufzusuchen, denn Merten hatte sich noch immer nicht blicken lassen.
Er schlug den Registerband zu und stand vom Schreibpult auf. Vor dem Fenster sang eine Amsel ihr volltönendes Lied, und ein Zweig mit jungen Blättchen schlug in der Morgenbrise gegen die Laibung. Die Rosen, die seine Mutter so liebte, rankten sich inzwischen an der Hofwand empor und würden bald zu knospen beginnen.
Nicht nur Frau Almut liebte Rosen – auch ein anderes Weib hatte eine Vorliebe für die duftenden Blüten. Ein Weib, das hellhörige Ohren, scharfe Augen und einen klugen Sinn hatte. Gislindis! Sie würde hilfreich sein. Sie würde seiner Schwester auch helfen wollen, selbst wenn sie ihn selbst auf Abstand zu halten gedachte. Einen Abstand, von dem er entschlossen war, ihn zu überwinden.
Rosenwasser aus dem Morgenland hatte er noch eben in seinen Listen vermerkt. Und venezianische Glasperlen.
Konnte ein Weib dem Duft und dem Glitzern widerstehen?
Marian verließ das Kontor und begab sich in die Lagerräume, um ebendiese Dinge aus den entsprechend gekennzeichneten Packen zu entnehmen. Dann ging er in die Küche und traf dort seine Mutter an, die der Haushälterin Anweisungen für den Tag erteilte.
»Ihr seht müde aus, Frau Mutter«, sagte er, als sie ihn mit einem Nicken begrüßte.
»Wundert es dich? Haben du und John noch irgendwelche Einfälle gehabt, wie man Alyss finden kann?«
»Wir tappen im Dunkeln. Ich werde heute einige Besuche machen. Frau Mutter, hat es irgendwelche Gerüchte oder Getratsche über van Doorne gegeben? Hat er vor seinem ruhmlosen Ableben noch jemanden begaunert?«
»Mir ist nichts zu Ohren gekommen. Außer der Sache mit den Salzfässern. Aber das hat dir Robert sicher schon berichtet.«
»Ja, der Pfandleiher. Auch ein Mann, der befragt werden will. Aber zunächst schaue ich noch in der Witschgasse vorbei. Man trägt Peer heute zu Grabe.«
»Der arme Mann. Er war schon uns ein treuer Knecht. Ich werde zum Lichhof kommen.«
»Es wird Hilda ein Trost sein.«
Frau Almut hob eines der zarten Fläschchen aus venezianischem Glas hoch und bewunderte es.
»Du besuchst Gislindis?«
»Trude de Lipa.«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht seiner Mutter.
»Für sie nimm Honigkuchen mit und süßen Wein.«
Marian entfernte das Wachs von dem Stopfen der Phiole, zog ihn heraus und reichte sie seiner Mutter wieder. Almut schnupperte daran und schloss die Augen.
»Sommerduft, warmer Wind, Küsse unter schattigen Rosenlauben. Du besuchst doch Gislindis.«
»Ja, Mama, sie auch.«
»Ein schönerer Anblick als die essigsaure Trude. Und nun stärke dich mit dem Frühmahl.«
Der süße Brei mit Mandeln und Äpfeln sättigte ihn gebührlich, und nachdem er sein graues Wams übergezogen und noch einmal seine glänzenden, rotbraunen Locken gebürstet hatte, machte er sich zunächst auf den Weg zur Witschgasse.
Das Karrenpferd stand im Hof, und in der Küche herrschte Aufregung, als er eintrat. Frieder war eben dabei, von seinem Fund zu berichten.
»… und der Björn, der Tropf, wollte es dem Klepper-Tünnes bringen. Aber Frau Clara hat gesagt, sie sollten es unterstellen, bis jemand danach fragt.«
»Der Karrengaul war beim ›Adler‹?«, fragte Marian überrascht, und Frieder drehte sich um.
»Nee, der stand bei den Beginen hinter der Mauer. Die Pförtnerinnen haben ihn gestern Abend entdeckt. Wusste aber keiner, wem er gehört, also hat die Meisterin gesagt, sie sollen ihn zum Schmied bringen. Da würde der Besitzer sicher nachfragen.«
»Kluge Frau.«
»Ja, Clara ist eine kluge Frau. Wenn sie nicht unter dem Reißen leidet oder Ohrensausen hat«, meinte Catrin mit einem feinen Lächeln. »Wir haben Frieder heute gebeten, zum Gasthaus zu gehen und ein Fässchen von Frau Franziskas Bier zu erstehen. Dabei ist ihm das Pferd im Hof aufgefallen.«
»Es wird immer seltsamer«, sagte John. »Peer am Severinstor, der Karren am Friesentor, der Gaul bei den Beginen am Eigelstein. Durch welches Tor hat man Mistress Alyss gebracht?«
Marian schlug sich mit der Hand an die Stirn.
»Die Torwächter!«
»Werden bestochen worden sein«, knurrte
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