Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
viel von seinem Übermut verloren und viel an Verantwortung gewonnen.
Einigermaßen zufrieden setzte John sich an den Tisch und ließ sich von Lore eine Schüssel Wurstsuppe vorsetzen.
12. Kapitel
M arian hatte ihr geraten, Trude de Lipa gewürzten, honigsüßen Wein und weiche Kuchen mitzunehmen. Er hatte ihr auch einen Tiegel feiner Salbe gegeben, die gegen das Gliederreißen half. Catrin packte alles das in einen Henkelkorb und zog dann die hölzernen Trippen an die Füße. Es hatte zwar aufgehört zu regnen, aber die Straßen waren lehmig und aufgeweicht, die mit den hohen Stegen versehenen Unterschuhe waren zwar unbequem, würden aber verhindern, dass sie nasse, schmutzige Füße bekam. Die Huhnsgasse, in der die alte Frau ein Häuschen bewohnte, lag am westlichen Rand der alten Stadtmauer, und Robert hatte darauf bestanden, dass Hilda sein Weib begleitete. Die Haushälterin, ebenfalls mit Trippen an den Füßen, bekundete, während der Zeit, die Catrin bei Mertens Großmutter verbrachte, in der Kirche von Sankt Mauritius Fürbitte für Peer halten zu wollen.
Sie wählten den Weg am Blaubach entlang, der zwar angeschwollen, aber nicht über die Ufer getreten war. Aber die Färbung, der er seinen Namen verdankte, war sichtlich geringer als sonst. Das Färberwaid, das die Tuchfärber verwendeten, die an seinem Lauf ansässig waren, wurde durch den Regen verdünnt. Dort, wo der Bach in die Obhut der Rotgerber gelangte, war sein Wasser noch immer von kräftigem Rot geprägt – durch die Lohe, mit der die Gerber die Felle bearbeiteten. Als sie Sankt Pantaleon mit seinen Weingärten passiert hatten, bogen sie in die Huhnsgasse ab, und Hilda stapfte weiter zur Kirche, als Catrin die Haustür geöffnet wurde.
Trude de Lipa war eine uralte Frau, die die siebzig schon unzählige Male hinter sich gelassen hatte. »Wer seid Ihr?«, krächzte sie und stierte verlangend auf den Korb, unter dessen kariertem Leinentuch der Hals einer Steingutflasche hervorragte.
»Mein Name ist Catrin von Stave, ich bin die Ziehschwester von Alyss vom Spiegel.«
»Die vom Spiegel. Hochnäsiges Völkchen«, keckerte die Alte. »Hab gehört, die haben Euch aufgesammelt und abgerichtet, was?«
»Frau Almut hat mich als Kind mit offenen Armen aufgenommen, Frau Trude, und mir ein liebevolles Heim gegeben.«
»Und darum spioniert Ihr jetzt bei mir herum?«
»Ich wollte Euch einen Besuch abstatten und Euch Wein und Kuchen bringen. Mögt Ihr süßen Kuchen mit Früchten und Mandeln?«
»Noch lieber süßen Würzwein. Kommt rein.«
An ihrem Knotenstock humpelte die Alte durch die Diele und wies dann auf einen harten Schemel neben dem Tisch, der vor dem Kamin stand. In dem Kamin flackerte ein kleines Feuer, und auf dem breiten Scherensessel mit einem weichen Polster nahm sie mit einem leisen Stöhnen Platz.
»Packt aus. Da drüben stehen die Becher. Ihr könnt Euch auch einen nehmen.«
Catrin beschlich eine leichte Belustigung. Die Alte war ein zäher Knochen, das hatte sie schon von Alyss gehört. Gastfreundschaft war ihr ein Fremdwort, Geiz dagegen geläufig. Aber mit schrulligen Weibern hatte Catrin schon oft Bekanntschaft gemacht, als sie noch bei den Beginen lebte. Sie hatte häufig Kranke zu pflegen gehabt, die dem Ende ihres Lebens entgegensahen. Sie lächelte also friedfertig, schenkte Wein ein und wickelte den Kuchen aus der gewachsten Leinwand. Beides schob sie der Alten hin, die augenblicklich an dem Gebäck zu mümmeln begann.
»Nicht so gut wie das der Bäcker-Nele. Geht aber.«
Sie stürzte einen kräftigen Schluck Wein hinunter, den Catrin besonders stark gesüßt hatte, und wie ihr schien, musste die Alte mit Macht einen genussvollen Gesichtsausdruck verhindern.
»Mäßiges Gesöff. Zu wenige Nelken drin. Müsst Ihr sparen?«
»Nein, Frau Trude. Hätte ich gewusst, dass Ihr den Geschmack der Nelken schätzt, hätte ich mehr davon in den Claret gegeben. Mein Ziehbruder Marian hat eben eine ganze Ladung Gewürze von seiner Reise nach Venedig mitgebracht.«
»Venedig. Hat er sich wieder getraut, der Hasenfuß?«
»Seine Füße, so dünkt mir, sind ganz menschlich und haben ihn sicher über die Straßen getragen.«
»Hat sich zwei Jahre geziert, Quacksalberei betrieben, sein Erbe aufgezehrt.«
»Weniger als Euer Enkel Merten, würde ich sagen.«
»Pah, der. Der kriegt’s doch jetzt wieder von der Weinhändlerin reingeschoben. Von mir bekommt er nichts mehr.«
Catrin füllte den Becher wieder auf, und Trude schlürfte
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