Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
wenigstens wussten sie dann, woran sie bei dem Jungen waren.
Die Mittagssonne wärmte die Gassen, für den späten April war es fast schon sommerlich, und es stand zu vermuten, dass der launische Monat in Kürze das Land wieder mit düsteren Wolken und Kälte überzog. Aber in dieser Stunde genoss Marian die milde Luft. Und die Gewissheit, dass seine Schwester Alyss gefunden war, machte sein Herz leichter. Sowie Lucien bei den Mönchen untergebracht war, würden sie damit beginnen, einen Plan für ihre Rettung zu schmieden.
An der Klosterpforte öffnete ihm ein rundlicher Bruder mit einem fröhlichen Lächeln. Man kannte ihn hier, lange hatte sein Vater als Pater Ivo unter den Mönchen gelebt und stand noch immer in guter Beziehung zu dem Abt und einigen gelehrten Brüdern.
»Herr Marian, was bringt Euch zu uns? Dem Herrn Vater geht es doch gut?«
»Er erfreut sich prächtiger Gesundheit und führt ein tätiges Leben.«
»Habt Ihr Neuigkeiten von Eurer Schwester?«
Auch hier in diese stille Welt der Gebete und Gelehrsamkeit war die Kunde von der Entführung gedrungen, und Marian gab dem Bruder Pförtner eine kurze Antwort dazu. »Aber ich muss Vater Lodewig sprechen. Finde ich ihn in seinen Räumen?«
»Sicher. Godard wird Euch zu ihm führen.«
Ein junger Novize eilte auf seinen Ruf hin herbei, und Marian folgte ihm zum Wohngebäude. Die Gemächer des Abtes waren weder karg noch die Gestalt des ehrwürdigen Vaters asketisch. Kein Mensch, auch kein frommer Benediktiner, war frei von kleinen Lastern, und das von Lodewig war die Neigung zu gutem Essen. Dass er nicht fett wie ein Kloß war, lag an seiner strengen Disziplin.
Aber dennoch, eine asketische Figur umspielte die schwarze Kutte nicht.
Er saß an seinem Schreibpult und sah erfreut auf, als Marian zu ihm trat.
»Welch netter Besuch. Hast du Neuigkeiten zu vermelden?«
»Alyss wird von einem Edgar von Isenburg gefangen gehalten. Wir werden sie in Kürze wieder bei uns haben, Vater Lodewig.«
»Vermeidet Blutvergießen.«
»Das kann ich nicht versprechen. Aber ich bin aus anderem Grunde gekommen, Vater Lodewig. Ich brauche Eure Hilfe.«
»Sprich, mein Junge.«
»Robert und Catrin haben von ihrem Besuch bei Aziza und Leon zwei junge Leute mitgebracht, die einige Zeit in Alyss’ Hauswesen verbringen sollen. Denise ist ein schüchternes Mädchen, aber lernwillig, Lucien, er ist sechzehn, ein durchtriebener Lümmel. Er hat bereits ein Pferd gestohlen, hat Lore drangsaliert, sich mit Frieder geprügelt, Hildas Kupferpfanne versetzt, um an Geld für den Hahnenkampf zu kommen, sich in den Schenken betrunken und um das Harfenlieschen gerauft, und gestern hat er zwischen dem Gerfalken und unserem schwarzen Hahn einen Kampf veranstaltet. Der Hahn ist tot, der Falke wurde verwundet. Wir wissen nicht mehr, was wir mit ihm anstellen sollen, Vater Lodewig. Robert hatte die Idee, dass er sich hier bei Euch eine Weile strengen Exerzitien unterziehen sollte, um Einsicht und Demut zu lernen.«
»Man hat ihm ins Gewissen geredet?«
»Mehrfach. Weder Predigt noch Schläge, weder strenge Haft noch Fasten haben etwas bewirkt. Frieder glaubt, dass er Heimweh hat, und das dachte ich anfangs auch. Aber er lehnt auch die Freundschaften ab, die ihm angeboten werden, und unsere Sprache will er ebenfalls nicht lernen.«
Vater Lodewig legte die Fingerspitzen zusammen und sann eine Weile nach. Marian kannte diese Angewohnheit und schaute sich geduldig in dem Gemach um. Es war ihm vertraut, denn schon als kleiner Junge war er mit seinem Vater hierhergekommen, damals, als noch Vater Theodoricus der Abt des Klosters gewesen war. Es waren immer schöne Stunden gewesen, in denen er den spitzfindigen Disputationen lauschte, auch wenn er sie noch nicht recht verstand. Sowohl zwischen dem alten wie auch dem neuen Abt und seinem Vater bestand eine innige Freundschaft, und die Gelehrsamkeit, die hier herrschte, hatte seine Wissbegier angestachelt. Auch der Bruder Infirmarius und der Bibliothecarius hatten sich oft eingefunden, und zu ihnen hatte auch er, Marian, bald eine freundschaftliche Verbindung gefunden.
»Läuterung, Marian, erfährt die Seele durch Schaudern und Jammern. Die verhärtete Seele allerdings widersteht dem. Wir können versuchen, ihn durch strenge Observanz, Andacht und Schweigen zur Einsicht zu führen. Kasteiungen aber möchte ich einem solch jungen Menschen nicht aufbürden. Bringt den Unhold her, den lichten Mai über mag er sich unseren Regeln unterwerfen.
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