Das Lied des Kolibris
Misshandlungen ausgesetzt gewesen war. Sogar solche, die Lua früher nicht sehr gemocht hatten, weil sie in ihren Augen eine überhebliche Haussklavin war, waren verstört und traurig, denn das wünschte man nun wirklich keinem jungen Ding, dass es ins Bordell verschleppt wurde.
Nur eine Person saß ganz für sich allein und beteiligte sich nicht an dem aufgeregten Getuschel. Imaculada war besorgt. Ihr Plan war zwar aufgegangen, schließlich hatte sie das Mädchen durch eine Verschlimmerung seiner Lebensumstände zu einer Flucht treiben wollen. Aber ihre Einschätzung Luas war wohl nicht ganz richtig gewesen. Sie hätte sich niemals vorstellen können, dass eine intelligente und beherrschte Person sich zu einer derartig überstürzten Flucht hätte hinreißen lassen. Herrje, warum hatte Lua nicht ihren Rat gesucht?! Sie hätte dem Kind sagen können, wie man es anstellte. Sie hätte ihr weiterhin verraten können, wo sich Mbómbo verbarg – denn dass dieser irgendwo nordwestlich von hier sein Quilombo gegründet hatte, das schien ihr gesichert. Wäre dem nicht so, dann hätten die Jäger eine Leiche gefunden, oder wenigstens Überreste einer solchen. Außerdem wären die Flüchtlinge von Três Marias und die vom Solar do Castelo bestimmt aufgegriffen worden. Es
musste
ganz einfach so sein, dass jetzt irgendwo da draußen eine Gruppe von sechs Personen um ihr Überleben kämpfte. Imaculada hatte keinerlei Bedenken, dass es ihnen nicht gelingen könne. Und je mehr Leute dazustoßen würden, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass Mbómbos Traum in Erfüllung ging. Dann würde ihm nur noch eines zu seinem Glück fehlen: Lua. Also musste sie, Kasinda, dafür sorgen, dass das dumme Mädchen irgendwie aus seiner scheinbar ausweglosen Lage befreit wurde.
Diese Lage verschlechterte sich zusehends. Lua war geschlagene zwei Tage eingesperrt worden, bevor man sich zu einer Entscheidung durchrang, wie mit ihr zu verfahren sei. Allein Sinhá Eulálias Fürsprache war es zu verdanken, dass keine öffentliche Auspeitschung stattfand. Aber beinahe noch demütigender wollte es Lua erscheinen, als Feldsklavin eingesetzt zu werden.
Es war die Zeit der Zuckerrohrernte, und da wurde jede helfende Hand gebraucht. Die erfahrensten Männer schnitten das Rohr, denn es war eine harte Arbeit, die zudem schnell erledigt werden musste. Die Frauen hoben das geschlagene Rohr auf, bündelten es und trugen es auf dem Kopf zu den Sammelstellen, wo es auf Karren verladen wurde. Lua gab sich alle Mühe, doch sowohl die Hitze als auch die harte Arbeit und ihre mangelnde Erfahrung machten ihr schwer zu schaffen. Während die anderen Frauen Bündel vom Umfang einer ausladenden Umarmung auf ihrem Kopf balancieren konnten, gelang es Lua kaum, drei oder vier Rohre zu bündeln und aufzuheben, geschweige denn, sie auf dem Kopf zu tragen. Jedes Mal, wenn sie an der Sammelstelle ankam und ihre dürftige Ausbeute ablud, lachten sich die Vorarbeiter und Aufseher halb tot – bevor sie ihr eines mit der Peitsche überzogen. »Faules Stück, du musst schneller arbeiten!«
Die Feldsklavinnen belächelten sie. Ha, da sah sie es mal aus eigener Anschauung, die eingebildete Ziege, wie es war,
richtig
arbeiten zu müssen. Einzig Maria Segunda half Lua, wenn der Aufseher gerade nicht hinschaute, indem sie ihr zum Beispiel die Rohre so auf dem Kopf plazierte, dass sie im Gleichgewicht waren und sich einfacher tragen ließen. Nach drei Tagen auf den Feldern hatte Lua Blasen an Füßen und Händen. Sie hatte zahlreiche Schnittwunden, denn die Blätter des Zuckerrohrs, die man von den Stengeln abriss, waren scharfkantig. Sie hatte einen Sonnenbrand auf der Nase, denn ihre recht helle Haut war es nicht gewohnt, der sengenden Mittagssonne ausgesetzt zu sein. Der dünn geflochtene Strohhut half da auch nicht viel, zumal er ihr bei den ungeschickten Versuchen, ihren Kopf zu beladen, meist herabrutschte. Nur gut, dass ihr der Schweiß in Strömen herunterlief, da sah man nicht die Tränen, die über ihr Gesicht rannen.
Als sie nach mehreren Tagen immer noch nicht ihr Arbeitspensum hatte steigern können – denn jede Faser ihres Körpers schmerzte, und eher leistete sie noch weniger als am ersten Tag –, da schlug der Aufseher dem Senhor vor, das »faule Ausreißermädchen« woanders einzusetzen, er könne solche Leute nicht gebrauchen. Lua war selig, als man ihr eröffnete, sie müsse nicht länger auf die Felder gehen. Doch ihre Erleichterung schlug in
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