Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
erzählt, sie sei in einem Hurenhaus gefangen gehalten worden und von dort geflohen.«
    Dona Ines schlug sich vor Schreck die Hand vor den Mund. Sosehr sie sich auch über Lua und deren Starrsinn geärgert hatte,
das
hatte sie nicht verdient. Manuel blickte peinlich berührt zu Boden, während Carlos fragte: »Schrieb sie auch, in welchem öffentlichen Haus das gewesen sein soll?«
    »Was tut das zur Sache?«, fragte Dona Ines ihren Ältesten und sah ihn forschend an. »Sind die Huren alle alte Bekannte von dir?«
    »Ich bitte Euch,
Mãe!
«, empörte sich Carlos. »Nein, es interessiert mich deshalb, weil ein paar der, ähm, Damen sich an der Fakultät in medizinische Behandlung gegeben haben, weil es sie dort nichts kostet.« Das war eine glatte Lüge, aber Lügen gingen Carlos von Mal zu Mal leichter über die Lippen.
    »Sind die Huren eure Versuchskaninchen?«, fragte Manuel.
    »Herrje, das spielt doch überhaupt keine Rolle«, unterbrach Dom Felipe den Wortwechsel seiner Familie. Da ging wohl mit allen die schmutzige Phantasie ein wenig durch. »Aber da du schon fragst, Carlos: Ja, die Frau Oberin schreibt, dass Lua von einem Bärtigen erzählt habe, der wohl der Besitzer des Etablissements war.«
    »Hm«, grunzte Carlos und setzte eine gelangweilte Miene auf. »Sagt mir nichts.«
    »Wäre ja ein merkwürdiger Zufall, wenn es sich um Paulo Barbudo gehandelt haben sollte, den Sklavenjäger.«
    »Den erfolglosen Sklavenjäger«, ergänzte Dona Ines.
    »Wovon sprecht Ihr?«, wollte Carlos wissen.
    »Na, als Zé fort war und all unsere eigenen Anstrengungen nichts gefruchtet hatten, haben wir eine hohe Belohnung ausgesetzt, die dieser Kerl sich verdienen wollte«, klärte Manuel seinen Bruder auf. »Ein zwielichtiger Typ von zweifelhaftem Ruf, wie man so hört. Aber angeblich der beste Sklavenjäger weit und breit. Da er Zé nicht aufstöbern konnte, müssen wir davon ausgehen, dass der Neger tot ist.«
    Carlos hatte seine liebe Not, sich die innere Aufregung nicht anmerken zu lassen. Das waren ja höchst spannende Neuigkeiten! Er würde in Ruhe nachdenken müssen, um aus dieser Wendung der Ereignisse das Maximum für sich herausschlagen zu können. Er könnte etwa Paulo Barbudo beschuldigen, widerrechtlich sein Eigentum an sich genommen zu haben – und dann großzügig von einer Strafverfolgung absehen, wenn der andere ihm die Schulden erließ. Sie waren schließlich echte Cavalheiros, oder etwa nicht? Carlos’ Laune hob sich deutlich. Der leidige Elternbesuch hatte sich für ihn schließlich doch noch gelohnt.
    Ein anderer war indes zutiefst erschüttert von dem, was er mit angehört hatte: Lulu, dem am Schlüsselloch kein Wort von dem Gespräch der Familie Oliveira entgangen war, musste sich beherrschen, um nicht an Ort und Stelle von schweren Schluchzern geschüttelt zu werden. Seine ehemalige Zukünftige – eine Hure! Das war ja tausendmal schlimmer, als es mit einer entflohenen Sklavin zu tun zu haben. Das allein war ihm schon sehr an die Nieren gegangen, zum einen, weil man ihn paradoxerweise der Beihilfe bezichtigt hatte, zum anderen, weil er sich eingestehen musste, dass er der Anlass für Luas Flucht gewesen war. Dass aber Lua nun aus einem Freudenhaus geflohen war, wo man ihr mit Sicherheit die allerübelsten Dinge abverlangt hatte, das traf ihn ungleich härter. Es war für einen Mann seiner Klasse, seiner Klugheit und seines Aussehens nachgerade rufschädigend, auch nur annähernd mit einer Dirne in Verbindung gebracht zu werden. Er musste unter allen Umständen verhindern, dass dieser Skandal ruchbar wurde.
    Fernanda hatte ebenfalls das Wesentliche mitbekommen. Ihr waren Tränen in die Augen getreten, und da sie sich nicht schneuzen konnte – man hätte sie sonst im Salon hören können –, wischte sie sich mit dem Ärmel Wangen und Nase trocken. Sie starrte Lulu an und meinte, seine Gedanken lesen zu können. Dieser Mistkerl! Erst nutzte er eine Lage skrupellos zu seinen Gunsten aus, dann empfand er Verachtung für sein Opfer. Fernanda war überzeugt, dass es sich bei dieser Ehe, die man zwischen den beiden hatte arrangieren wollen, nur um ein Versehen oder ein kolossales Missverständnis handeln konnte, denn sie wusste ja um Luas Gefühle Lulu gegenüber: Ihre Freundin verabscheute den Burschen!
    Es waren kaum zwei Stunden vergangen, da wusste jedes Kind in der Senzala, was geschehen war. Viele Leute weinten, weil sie Mitleid mit Lua empfanden, die, wie man munkelte, den schwersten

Weitere Kostenlose Bücher