Das Lied des Kolibris
Entsetzen um, als sie sah, welche »leichteren« Aufgaben man ihr nun zugedacht hatte. Sie wurde nacheinander beim Latrinenputzen, beim Fischeausnehmen und beim Garnelenpulen eingesetzt, Aufgaben, über die sie sich bis dahin nie Gedanken gemacht hatte. Die Fische kamen immer geschuppt und ausgenommen in der Küche an, oder nicht? Bei alldem wurde sie besonders scharf bewacht, und die Blicke des geilen Antónios widerten sie fast noch mehr an als die Innereien der Fische, die sie als glitschigen, stinkenden Haufen auf dem Strand zurückließen.
Lua verfluchte den Tag, an dem sie geboren worden war.
Wer unterdessen noch lauter fluchte, war Paulo Barbudo. Dass die Neue ihm entkommen war, war überaus ärgerlich gewesen. Aber noch übler war, dass er sich wohl das grässliche Wechselfieber eingefangen hatte, wahrscheinlich während der Suche nach dem blöden entlaufenen Sklaven von São Fidélio. Im dichten Gestrüpp und in drückend feuchter Luft war er tagelang hungrigen Mückenschwärmen ausgesetzt gewesen, und eines der Biester hatte ihn anscheinend mit der Malaria infiziert. Die verflixte Krankheit war nicht heilbar, allerdings auch nicht unbedingt tödlich. Paulo kannte Leute, die trotz des Wechselfiebers ein hohes Alter erreichten, wobei sie in regelmäßigen Abständen von Anfällen niedergeworfen wurden. Scheußlich, so etwas. Er war auf die Pflege angewiesen, die seine Alte ihm angedeihen ließ, und das machte ihn rasend. Nicht einmal mehr verprügeln konnte er die Schlampe, wenn ihm danach war. Oder sollte er sie vielmehr noch öfter züchtigen als früher, damit sie nur ja nicht auf dumme Gedanken kam, wie etwa den, ihn seinem Schicksal zu überlassen und ein eigenes Bordell zu eröffnen?
Den Gipfel der Schmach aber bildete der Besuch dieses Lackaffen Carlos Oliveira. Hatte São Fidélio ihm nicht schon genügend Unglück gebracht? Erst holte er sich eine teuflische Krankheit bei der Fahndung nach dem Feldneger von dieser Fazenda, dann verlor er den Doutor Azevedo als Kunden, weil er die angepriesene Ware, ebenfalls von São Fidélio, nicht mehr anbieten konnte, und jetzt kam noch dieser geschniegelte Nichtsnutz und wagte es, ihn zu bedrohen.
»Du hattest eine Negerin von uns in deiner Gewalt«, hatte Carlos gesäuselt, wobei Paulo Barbudo trotz des süßlichen Tons nicht entging, dass der Schnösel ihn plötzlich duzte.
»Natürlich«, antwortete Paulo betont freundlich, »ich wollte sie zurück nach São Fidélio bringen.«
»Sicher«, erwiderte Carlos. »Darum hast du sie auch deinen Kunden angeboten.«
»Das ist eine infame Unterstellung! Und woher willst du das überhaupt wissen? Von dem Mädchen selber etwa? Glaubst du einer Ausreißerin mehr als deinem alten Freund Paulo, der dir noch aus jeder Notlage geholfen hat?«
»Wir sind keine alten Freunde. Und ich verbitte mir diese respektlose Anrede.«
»Oder hat der Doutor Azevedo sich bei dir über mich beklagt?«
Carlos grinste, und Paulo ging zu spät auf, dass er in eine Falle getappt war. Carlos hatte nur Vermutungen angestellt, und er, der gewiefte Paulo Barbudo, war so dumm gewesen, diese unfreiwillig zu bestätigen. Daran war dieses blöde Fieber schuld! Es hatte ihn geschwächt, und zwar seinen Verstand noch mehr als seinen Körper.
»Ich bin bereit, dieses Verbrechen an unserer Familie und unserem Eigentum nicht zu ahnden …«, sagte Carlos.
»Ja?« Der Bärtige wusste, worauf der andere hinauswollte, aber er wollte, dass er es aussprach.
»Ja. Du könntest ja einmal scharf nachdenken, mit welchem kleinen Gefallen du dich revanchieren könntest.«
Paulo war kurz davor, den anderen windelweich zu prügeln. Nicht einmal diese Genugtuung war ihm vergönnt, dass der Lackaffe ihn anbettelte. Verflucht!
»Hm, ja, na schön. Ich denke darüber nach. Komm doch in einer Woche noch einmal her, dann ist mir vielleicht eine angemessene Lösung eingefallen.«
»Morgen«, sagte Carlos streng. »Morgen früh bin ich wieder hier, und du hältst das Dokument bereit, das mich von allen Schulden bei dir befreit, inklusive der angefallenen Zinsen.«
»Mal sehen.«
»Und dein sauberstes und jüngstes Mädchen hältst du ebenfalls für mich bereit.«
Paulo Barbudo verdrehte die Augen, simulierte einen schweren Fieberschub und sehnte sich nach einer echten Ohnmacht, die ihn von all seinen Sorgen erlösen würde.
27
C aca der Stotterer war das Beste, was der kleinen Siedlung passieren konnte. Bebel hatte nicht übertrieben, als sie die
Weitere Kostenlose Bücher