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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Autorität in Frage gestellt. Dieser nun, der dienstälteste Stallknecht auf São Fidélio, hatte den anmaßenden Jüngeren nach draußen gezerrt und die Peitsche neben ihm niedersausen lassen – hatte aber nicht damit gerechnet, dass der Fremde ihm diese so geschickt entwenden würde.
    »An den Tieren brauchst du deine Wut nicht auszulassen«, sagte nun der Fremde in einer wundervollen Bassstimme, von der Lua die Knie weich wurden. »Und an deinesgleichen auch nicht.« Dann warf er António die Peitsche vor die Füße, drehte sich um und verschwand im Stall.
    »Du Nigger-Abschaum, was fällt dir ein?«, brüllte António und rannte ihm nach. Die Zuschauer hielten die Luft an. Würden die beiden sich im Stall prügeln? Lua hoffte es, denn António hatte wirklich einmal eine Abreibung verdient, als Strafe für all die ersäuften Kätzchen, geprügelten Hunde und geschundenen Pferde. Leider kam es nicht so weit, denn in diesem Moment eilte Rui Alberto aus der Casa Grande auf sie zu.
    »Was geht hier vor? Zé, in welchem Schlamassel steckst du diesmal?« Damit verschwand er im Stall.
    Kurz darauf kam er, mit seinem Sklaven im Schlepptau, wieder heraus. Die Sinhazinha hatte sich unterdessen zu den Schaulustigen gesellt und sah nun fragend abwechselnd zu Lua und zu ihrem Galan.
    »Eigentlich wollte ich ihn dir zum Verlobungsgeschenk machen«, sagte Rui Alberto zur Sinhá Eulália, »aber ich werde das noch einmal überdenken. Ich muss ihn erst noch ein wenig … ähm … formen.«
    »Aber nein«, rief Eulália verzückt, »ich will ihn so haben, wie er ist. So wild, so stark – ach, er ist herrlich! Ich danke dir, mein Lieber.«
    Lua kannte die Sinhazinha gut genug, um zu wissen, was in ihr vorging. Der Sklave war ihr von Herzen gleichgültig, die zwischen den Zeilen angekündigte Verlobung indes nicht. Sie würde keine Verzögerung wünschen, nur weil das Geschenk noch nicht »fertig« war.
    Der schöne Zé stand währenddessen mit erhobenem Kinn neben seinem Senhor und starrte gezielt an der Sinhazinha vorbei – genau in Luas Augen. Ihr Mund wurde trocken, ihre Ohren glühten. Aus dem Blick dieses Mannes sprachen grenzenlose Arroganz und ein unbeugsamer Stolz, dennoch wirkten seine Augen zugleich auch nachdenklich, traurig und weise. Der Ausdruck darin erinnerte sie ein wenig an den in Imaculadas Augen, obwohl es unter Schwarzen wohl keine zwei Augenpaare gab, die unterschiedlicher hätten sein können. Seine waren groß, klar und von einem auffallend hellen, bernsteinfarbenen Ton. Sie waren umrahmt von einem Kranz dichter, schön geschwungener Wimpern. An den Seiten erkannte man bei genauem Hinsehen kleine Fältchen, aus denen Lua schloss, dass Zé ein wenig älter war als sie selbst. Sie schätzte ihn auf Mitte zwanzig.
    Sie war sich nicht sicher, ob er sie bewusst wahrnahm oder ob sie nur zufällig in seiner Blickrichtung gestanden hatte. Sie vermochte sich kaum vorzustellen, dass dieser prachtvolle Mann ausgerechnet sie unter den Umstehenden ausgewählt haben sollte, um die Gnade seines Blickes auf ihr ruhen zu lassen.
    Unsanft wurde sie in die Wirklichkeit zurückgeholt, als die Sinhazinha ihr mit ihrem Ellbogen in die Taille stieß. »He, Lua, nun glotz ihn doch nicht so an!«
    In ihrer grenzenlosen Verwirrung fiel Lua nichts Besseres ein, als einen Knicks zu machen, »nein, nein« zu stammeln und sich ins Haus zu retten. Das Gelächter der Sinhazinha und ihres zukünftigen Verlobten hallte noch in Luas Ohren, als sie längst der peinlichen Situation entkommen war.
    Für den Rest des Tages war sie zu nichts mehr zu gebrauchen. Sie war fahrig und in Gedanken weit von ihrer Arbeit entfernt. Sie ließ eine kostbare Blumenvase fallen, verschüttete die Hälfte der heißen Schokolade, die sie der Sinhá Eulália wie jeden Nachmittag brachte, und schlug der Länge nach hin, als sie über die Fransen des Orientteppichs stolperte, der in der Halle lag. Erst spät am Abend, als in der Senzala Ruhe einkehrte, gelang es ihr, ihre Gedanken zu ordnen.
    Die Senzala war die Gemeinschaftsunterkunft der Sklaven. Sie grenzte an das Herrenhaus, im Innern jedoch befand man sich in einer vollkommen anderen Welt. Es raschelte und knisterte die ganze Nacht hindurch. Immer gab es irgendjemanden, der hüstelte, schnarchte oder sich unruhig in seiner Hängematte wälzte. Auch Liebende waren nicht immer so leise, wie sie es von sich glaubten. Ein schweres Gemisch aus Rauch, Essensdüften und menschlichen Ausdünstungen erfüllte die

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