Das Lied des Kolibris
vernarrt in sie? Warum benahm er sich dann so abweisend? Sie hatte den Eindruck, dass er, seit sie in Liberdade angekommen waren, die Partei der anderen ergriffen hatte, die sie als nichtsnutzige, eingebildete Schnepfe betrachteten. Und was hieß hier überhaupt »armes Ding« und »warum auch immer«? Sie mochte abgemagert und unglücklich aussehen, aber schöner als diese beiden Frauen war sie allemal.
»Was soll ich jetzt machen?«, fragte Lua, um von dem Thema abzulenken. »Die Wäsche ist fertig. Sie hängt da hinten unter den Bäumen, wo die Leinen gespannt sind. Sollen doch wohl Wäscheleinen sein, oder?«
»Brav, Kindchen. Ja, das sind Wäscheleinen. Du darfst hier draußen nichts für selbstverständlich halten. Allein die Anfertigung dieser Leinen hat Caca mehrere Tage gekostet, bis er das richtige Zeug im Wald gefunden hatte und es richtig hinbekam. Die ersten sind nämlich gerissen, die nächsten haben gefärbt.«
»Ja, schon gut, Marilu. Es sind wundervolle Leinen. Und was soll ich jetzt machen?«
Bebel verdrehte schon wieder die Augen. Es war etwas an Luas Art, das in ihr den Wunsch auslöste, sie zu verprügeln. Ein Blick in Marilus Richtung reichte allerdings aus, um sie zurückzuhalten.
»Dann geh doch jetzt mal da rüber, schnapp dir den Besen und feg den Platz«, sagte Marilu zu Lua, wissend, dass diese lieber solchen Anweisungen folgte, als untätig und hilflos herumzusitzen.
So vergingen mehrere Stunden. Lua fegte, danach schickte man sie Feuerholz sammeln, dann erlaubte man ihr eine Pause, in der sie ein Nickerchen halten und anschließend sich selber pflegen durfte.
Überraschend guter Dinge kehrte sie von ihrem Bad im Fluss zurück. Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen, und die Männer waren zurückgekehrt. Sie waren sehr erfolgreich gewesen, und alle freuten sich auf den abendlichen Festschmaus, der aus einem dicken, gegrillten Capivara sowie einer improvisierten
farofa
, mit Papageien-Ei und in Faultierfett angebratenem Maniokmehl, bestand.
Zé holte die Schnapsflasche und goss jedem einen winzigen Schluck in die Becher ein, die Caca aus den getrockneten Schalen einer kleinen, kürbisähnlichen Frucht gefertigt hatte.
»Auf die Freiheit. Auf Liberdade.« Er sah zuerst Lua tief in die Augen, dann streifte sein Blick die Runde.
»Auf Liberdade!«, fielen die anderen mit ein. Alle Gesichter waren von Vorfreude erfüllt und leuchteten förmlich im Feuerschein.
»Oh, das tut gut!«, seufzte Luizinho und leckte seinen Schnapsbecher aus, um nur ja kein Tröpfchen verkommen zu lassen.
»Wusste gar nicht mehr, wie scharf das Zeug ist«, bemerkte João.
»Wir sind nicht mehr dran gewöhnt. Du wirst wahrscheinlich nach dem einen Becher sternhagelvoll sein«, zog Bebel ihn auf.
Das war gar nicht so weit hergeholt. Lua jedenfalls spürte tatsächlich schon die Wirkung des Alkohols.
»Sei nicht so geizig, Zé. Gib uns noch ’ne Runde. Wer weiß, wann wir das nächste Mal so feine Sachen essen und so schön beisammensitzen können.« Marilu zwinkerte Zé zu, als wolle sie mit ihm schäkern, und Zé erwiderte die Geste mit einem Achselzucken, als wolle er sagen: Bei so viel Charme bin ich machtlos.
Sie tranken und aßen und genossen den Abend, wie sie hier draußen selten einen genossen hatten. Nach dem Essen holten sie ihre merkwürdigen Musikinstrumente hervor und produzierten darauf erstaunlich harmonische Klänge. Sogar Lua fühlte sich halbwegs versöhnt mit ihrem Schicksal. Als Zé sie zum Tanz aufforderte, versteifte sie sich allerdings – bis auch sie sich vom Rhythmus forttragen ließ.
Ein harmloses Tänzchen, sagte sie sich, sie sollte sich nicht so anstellen. Mit João, Luizinho und Caca hatte sie schließlich auch getanzt. Aber hatten die anderen drei Männer sie so angeschaut? Sie so besitzergreifend umfasst? Sie so eng an sich gedrückt? Es war ebenso schön wie beunruhigend. Warum hatten sie während der vergangenen Wochen nicht diese Nähe gespürt? Was war mit ihnen los? War es der Zuckerrohrschnaps, der alle Hindernisse und Unstimmigkeiten, die zwischen ihnen standen, einfach weggefegt hatte?
Lua spürte plötzlich die Blicke der anderen in ihrem Rücken wie Nadelstiche. Alle beobachteten sie. Warum eigentlich? Als Bebel mit João und Marilu mit Luizinho getanzt hatten – während Zé und Caca die Musik erzeugten –, hatte ihnen doch auch niemand so genau zugeschaut. War es, weil sie neu hier war? Oder war es, weil man die Natur ihrer Beziehung zu Zé
Weitere Kostenlose Bücher