Das Lied des Kolibris
Gestalten und vor allem die sonderbare Beziehung zu Zé ließen ihr alles in einem trüben Licht erscheinen. Der Optimismus der anderen wirkte nicht ansteckend auf sie. Eher hatte er die gegenteilige Wirkung. Lua wunderte sich, wie tief man gesunken sein musste, um sich auf schlichteste Genüsse zu freuen. Sie hoffte, dass sie nicht so endete.
»Was machst du für ein Gesicht?«, fragte Bebel sie herausfordernd, kaum dass ihr Bruder sich entfernt hatte.
»Tut mir leid, wenn es dir nicht gefällt«, erwiderte Lua schnippisch.
»Haben wir dir irgendwas getan?«
»Nein.«
»Und wieso guckst du dann so?«
»Wie denn?«
»Du verdirbst uns die Laune mit deiner miesepetrigen Fresse.«
Lua sog scharf die Luft ein. War das hier der übliche Umgangston? Wundern würde es sie nicht, es handelte sich bei diesen Leuten ja anscheinend um die allerunterste Stufe tumber Feldsklaven. Oder hatte Bebel vor, sie durch unflätige Reden zu reizen? Warum tat sie das? Was hatte sie denn verbrochen? War das etwa die vielgelobte Freiheit, dass man nicht einmal mehr denken durfte, was man wollte?
»Lass sie doch in Ruhe«, mischte sich nun Marilu ein. »Sie wird ein paar Tage brauchen, um sich an alles zu gewöhnen.«
»Eine verwöhnte Haussklavin, das ist sie. Wir sind ihr nicht gut genug. Sieh sie dir doch an, wie sie da hockt, mit ihrem eingebildeten Getue.«
»Zettle doch jetzt keinen Streit an«, bat Marilu. »Und du, Lua, könntest eigentlich demnächst die Wäsche machen. Wo der Fluss ist, weißt du ja.«
Lua nickte. Sie war der Älteren dankbar für ihr Einschreiten. Wenn sie nicht sofort Abstand zwischen sich und Bebel schuf, würde es noch zu Handgreiflichkeiten kommen. Sie ließ sich einen Berg Wäsche sowie ein selbstgebautes, etwas eigentümliches Waschbrett geben und ging damit zum Ufer. Auf weitere Fragen oder das Erbitten von Ratschlägen hatte sie verzichtet. Lieber wusch sie die Wäsche zur allgemeinen Unzufriedenheit, als dass sie sich noch länger den Boshaftigkeiten dieser Bebel aussetzte. Und mit der hatte sie vorhin noch Mitleid gehabt. Pah! Die blöde Kuh verdiente nichts Besseres als einen zurückgebliebenen Bruder.
Grimmig nahm sie den Wäscheberg in Angriff. Sie hob ihr unförmiges Kleid über die Knie und steckte es in der Taille fest. Dann legte sie sich ein undefinierbares Tuch, mehrfach gefaltet, unter die Knie und begann mit dem Waschen. Dass Caca nur wenige Meter hinter ihr stand und aus seinem Versteck heraus mit großen Augen verfolgte, wie sich ihr Hinterteil hin und her bewegte, ahnte sie nicht.
Als Lua zu den anderen beiden Frauen zurückkehrte, hatte sich die Feindseligkeit in Bebels Verhalten gelegt. Das war sicher auf Marilus Fürsprache zurückzuführen, vermutete Lua. Marilu wurde ihr immer sympathischer. Ihre etwas derbe, mütterliche Art sowie ihr offenes Lächeln, das durch die schiefen Zähne noch an Herzlichkeit zu gewinnen schien, versöhnten Lua ein wenig mit ihrem Los.
Die beiden waren damit beschäftigt, Wildbret zu zerlegen und mit Salz einzureiben, um es dann zum Trocknen aufzuhängen. Dank des Salzes würde das Fleisch nicht nur länger haltbar sein, sondern auch viel besser schmecken.
Zögerlich gesellte Lua sich zu ihnen. Sie wusste ja gar nicht, ob ihre Gesellschaft hier erwünscht war.
Bebel fiel gleich mit der Tür ins Haus. »Bist du nun Zés Frau oder nicht?«
Lua lag eine freche Antwort auf den Lippen, aber sie nahm sich um des lieben Friedens willen zusammen. »Tja, schwer zu sagen. Richtig geheiratet haben wir nicht. Und ein Liebespaar … ähm, waren wir zumindest mal.«
»Also, was Bebel eigentlich wissen wollte: Ist Zé noch zu haben oder nicht?«, fragte Marilu rundheraus.
Oh. So war das also. Lua wusste nicht, wie sie sich elegant herauswinden konnte, ohne entweder Bebel zu verletzen oder aber sich selbst einen Bärendienst zu erweisen. Sie gönnte Zé Bebel nicht. Wenn sie selbst ihn nicht haben wollte, so wollte sie noch weniger, dass er mit einer anderen anbändelte. Sie verspürte einen Stich von Eifersucht, der ihr befremdlich erschien.
»Es ist so«, antwortete Lua, um einen neutralen Ton bemüht, »dass Zé und ich wohl schon so etwas wie ein Paar sind. Wir haben nur im Moment ein paar kleinere Auseinandersetzungen.«
»Schlag ihn dir aus dem Kopf«, riet Marilu Bebel.
»Aber …«
»Aber nichts. Das sieht doch jedes Kind, dass der Mann ganz vernarrt in dieses arme Ding hier ist, warum auch immer.«
War das so?, überlegte Lua. War Zé
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