Das Lied des Kolibris
fleischliche Vereinigung von Mann und Frau nur im Rahmen der geheiligten Institution Ehe stattfinden dürfe, nahmen aber achselzuckend hin, dass der Besitzer einer Fazenda sowie seine Söhne von dieser Regel ausgenommen waren. Am absurdesten jedoch fanden Muhongo und ich die Beichte. Wenn man eine Sünde begangen hatte, brauchte man sie sich nur von der Seele zu reden, schon verzieh einem ihr großer, gnädiger, milder Gott. Dass einen, je nach der Schwere des Vergehens, wenig später die Peitsche des Senhors treffen würde, verschwiegen sie einem wohlweislich.
Doch viele Dinge, die wir anfangs lächerlich gefunden hatten, erschienen uns nun, nach den langen Jahren in Sklaverei, mehr oder weniger normal. Dazu gehörte die Kleidung der Weißen: die absonderlichen Hüte, mit denen sie sich entstellten, und die unbequemen Stiefel, die für das heiße Wetter ungeeignet waren. Wir hatten uns schon so an den Anblick gewöhnt, dass wir es gar nicht mehr als komisch empfanden, wenn ein Mann einen dreieckigen Hut mit Pfauenfedern trug oder eine Frau ein Korsett, das ihr die Luft zum Atmen abschnürte.
Muhongo und ich stellten außerdem ernüchtert fest, wie viele unserer eigenen Gepflogenheiten, die wir anfangs so vermisst hatten, einfach durch die Lebensumstände fortgeweht worden waren, ohne dass sie uns besonders fehlten. Hatten wir zu Beginn unserer Gefangenschaft noch geglaubt, niemals ohne unsere Amulette auskommen zu können, so wussten wir nun, wie gut es auch ohne diese ging, wenn man sich mit ein paar Ersatzutensilien rüstete. Hatte uns anfangs die Verzweiflung heimgesucht angesichts der erdrückenden Enge der Senzala, so hatten wir inzwischen gelernt, dass der Mensch nicht den überwältigenden Anblick eines Sonnenaufgangs in der Savanne oder auf dem Ozean für sein Überleben benötigte, sondern sich durchaus auch mit ein wenig Vogelgezwitscher oder dem Duft einer Blume begnügen konnte. Und waren wir vor wenigen Jahren noch der Überzeugung gewesen, ohne unsere Familien würden wir kläglich eingehen, so stellten wir nun fest, dass wir einander beinahe ebenso viel Halt geben konnten.
Wir wurden ein Liebespaar. Die anderen Sklaven rümpften die Nase über uns, weil sie uns nicht verstanden. Wir waren vorher schon Außenseiter gewesen, doch als Paar, das sich seiner Andersartigkeit plötzlich nicht mehr insgeheim, sondern stolz bewusst war, waren wir es erst recht. Voreinander hatten Muhongo und ich kaum Geheimnisse, und die Scham hatten wir ohnehin an jenem Tag abgestreift, an dem uns die Matrosen des Sklavenschiffes hatten tanzen lassen. Einzig unserer portugiesischen Namen schämten wir uns, obwohl wir doch nichts dafür konnten. Wenn jemand mich in Muhongos Gegenwart »Imaculada« rief, duckte ich mich innerlich vor Beschämung, und an Muhongos Blicken sah ich, dass es ihm genauso erging, wenn man ihn »Lula« rief. Das waren nicht die Namen stolzer, freier Menschen. So hätten die Weißen auch ihre Tiere nennen können – ein weiterer Punkt übrigens, der Muhongo und mich zu Tränen belustigte. Wie konnte man nur einem Kaninchen oder einer Kuh einen Namen geben?
Meine Tochter fand gar nichts dabei. Sie gehörte zu den Ersten, die ein neugeborenes Kälbchen oder einen Welpen anschauten und ihm einen Namen verpassten. »Sieh nur, es hat bis zu den Knien weiße Beine«, sagte sie eines Tages aufgeregt zu mir, als ein Fohlen geboren wurde. »Wir sollten es
Botinhas
, ›Stiefelchen‹ nennen.« Wie groß ihr Einfluss in der Casa Grande war, zeigte sich daran, dass das Fohlen tatsächlich den Namen Botinhas erhielt. Es hatte jedoch irgendeinen Geburtsfehler, den ein Laie wie ich nicht erkennen konnte, so dass es sehr bald verkauft wurde. Meine Tochter war darüber untröstlich, und ich schleuderte ihr, ohne nachzudenken, eine grausame Wahrheit an den Kopf: »Mit dir werden sie es genauso machen, wenn du dich nicht so entwickelst, wie es ihnen gefällt.«
Ihre Antwort erschütterte mich jedoch mehr, als es der Schreck über meine unbedachten Worte getan hatte. »Na, und wenn schon. Ich bin ihr Eigentum, damit können sie ja machen, was sie wollen.« Heulend rannte sie davon.
In ihrem tiefsten Innern hat Nzinga vielleicht schon geahnt, dass es tatsächlich so kommen würde.
Zunächst jedoch verlief unser Leben in einigermaßen ruhigen Bahnen. Man gestattete Muhongo und mir, zu heiraten. Es war eine schlichte Zeremonie, die nichts zu bedeuten hatte, da man jeden von uns jederzeit vom anderen trennen konnte.
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