Das Lied des Kolibris
Es fand keine Feier in der Senzala statt, wie es bei anderen Sklavenhochzeiten der Fall war, da wir so wenige Freunde unter den Brasilianern hatten. Einzig meine Tochter kam, um uns zu gratulieren, allerdings widerstrebend. Man merkte ihr an, dass die Senhora ihr eingeschärft hatte, freundlich zu sein und artig die besten Wünsche zu überbringen. Ich war dennoch gerührt und dankte ihr: »Wie lieb von dir, Nzinga.« Daraufhin brach sie in Tränen aus. »Ich heiße Dodo! Warum musst du mich immerzu mit diesem Afrika-Kram blamieren? Und jetzt hast du auch noch diesen Wilden geheiratet … ich schäme mich, deine Tochter zu sein!«
Es war grauenhaft, sie diese Dinge sagen zu hören. Aber konnte ich ihr einen Vorwurf machen? Die Weißen hatten meine Kleine auf dem Gewissen. Sie hatten ihren Geist verbogen und ihr jede Achtung vor der eigenen Herkunft geraubt. Muhongo, der den Aufruhr in meinem Herzen bemerkte, legte den Arm beschützend um mich und sagte sanft zu meiner Tochter: »Du nur haben eine Mutter.« Ich wusste, dass er es gut meinte, aber das Ergebnis war verheerend. Nzinga heulte nur noch heftiger und beschwerte sich lautstark: »Ihr zwei könnt ja nicht mal richtig reden!« Dann rannte sie davon, zurück zu der trügerischen Freundlichkeit ihrer weißen Herrschaft.
Ein knappes Jahr später wurde ich erneut Mutter. Muhongo und ich nannten unseren Sohn Uanhenga, nach meinem ersten Mann und Muhongos Großvater. Offiziell hieß der Junge natürlich anders, nämlich José Alberto, und die Brasilianer mit ihrer albernen Angewohnheit, alle Namen zu verstümmeln, nannten ihn Betinho. Er war ein sehr strammer Bursche, pechschwarz wie sein Vater und ich, kerngesund und mit einer kräftigen Stimme gesegnet, die mich und die anderen Bewohner der Senzala fast um den Verstand brachte. Muhongo und ich liebten ihn sehr. Diesmal war ich es, die Uanhenga einer anderen Frau zum Stillen geben musste, um selber meine Arbeit verrichten zu können – es war übrigens das junge Mädchen, das noch vor kurzem die Favoritin des Senhors gewesen war und die Nase so hoch getragen hatte. Unser »Besitzer« hatte sie schneller abgelegt als die anderen vor ihr, wie er überhaupt mit zunehmendem Alter und fortschreitender Erschlaffung seiner Wangen die Häufigkeit erhöhte, mit der er sich neue Sklavinnen nahm, die zudem immer jünger wurden.
Nzinga war elf Jahre alt, als die ersten weiblichen Rundungen erkennbar wurden. Ich machte mir die allergrößten Sorgen um sie, tröstete mich jedoch mit dem Wissen, dass der Senhor ja ihr leiblicher Vater war und sich wohl kaum an der eigenen Tochter vergreifen würde. Das tat er auch nicht. Doch was er tat, war noch viel schlimmer.
Eines Tages bekam er Besuch von einem alten Freund aus seiner Studentenzeit. Die beiden Männer redeten bis in die Nacht, tranken und begannen zu spielen. Je betrunkener sie wurden, desto höher wurde der Spieleinsatz. Der Freund, der Nzinga zuvor hatte tanzen sehen, erhöhte seinen Einsatz, so dass unser Senhor nicht mehr mithalten wollte. »Ach, altes Haus, sei nicht so ein Spielverderber. Du hast doch jede Menge kostbare Sklaven hier herumlaufen. Ich würde dieses Tanzmädchen als Einsatz akzeptieren.«
Unser Senhor verlor.
Ich erfuhr von den Ereignissen durch Nzinga selbst, die gelauscht hatte und mir am nächsten Tag alles schilderte. »Ich soll mit diesem alten Kerl mitgehen!«, empörte sie sich unter Tränen. »Er hat mich gewonnen. Gewonnen! Kannst du dir das vorstellen? Wie einen Pokal!«
Natürlich konnte ich mir das vorstellen, und noch viel mehr als das. Aber ich hütete mich, ihr zu sagen, ich hätte schon immer gewusst, dass das eines Tages geschehen würde.
»Kannst du nicht etwas dagegen unternehmen? Den Kerl mit irgendeinem afrikanischen Fluch belegen? Ihn vergiften? Bitte, Mutter, tu etwas!«
Traurig schüttelte ich den Kopf. Mir war nicht entgangen, dass sie mich zum ersten Mal seit Jahren wieder mit »Mutter« angesprochen hatte. »Ich kann nicht zaubern«, sagte ich zu ihr in Kimbundu. Ich überlegte, ob ich ihr zur Flucht raten sollte, entschied mich jedoch dagegen. Wohin sollte ein elfjähriges Mädchen schon fliehen? Die Wahrscheinlichkeit, dass ein noch übleres Schicksal als das an der Seite dieses Mannes sie ereilen würde, war einfach zu hoch. »Deine einzige Chance ist die Senhora. Bitte sie um Hilfe. Vielleicht hat sie ein paar Juwelen, die sie dem Mann als Ersatz anbieten kann.« Wutschnaubend zog Nzinga von dannen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher