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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Stellenwert wie spannenden Neuigkeiten, hielt sich ewig bei einem falschen Wort auf, das ihr Schwiegervater verwendet hatte, und ging hastig über die Dinge hinweg, die Lua interessiert hätten, wie etwa die Tatsache, dass Fernanda von einem freien Schwarzen aus der Stadt, einem Scherenschleifer und Kesselflicker, den Hof gemacht bekam.
    »Nanu, wo hat sie den Mann denn kennengelernt?«, unterbrach Lua die Sinhá Eulália an dieser Stelle, worauf sie ihr barsch entgegnete: »Woher soll ich das wissen? Bei einer eurer Neger-Tanzveranstaltungen auf São Fidélio, nehme ich an. Tja, aber eigentlich wollte ich dir ja gerade schildern, wie ich dann zu der guten Florinda gesagt habe, dass sie unmöglich den blauen Hut …«
    Lua massierte Eulália die Füße, während diese endlos weitererzählte. Es war, als wäre ein Damm gebrochen, als habe sie all diese Dinge ewig in ihrem Innern verschlossen, die jetzt, da sie freiweg reden durfte, nur so aus ihr heraussprudelten, Komisches und Tragisches, Erhabenes und Niedriges nebeneinander in einem Satz. Lua zwang sich zu Geduld und Verständnis. Vielleicht würde auch sie selbst wie ein Wasserfall reden, wenn sie nur einen Zuhörer hätte.
    Aber sie hatte niemanden. In einem kleinen Anflug von Selbstmitleid quollen Lua Tränen in die Augen, die sie verstohlen und mit betont nachlässiger Geste fortwischte, als sei ihr ein Sandkorn oder ein Insekt ins Auge geraten.
    »So schlimm war es nun auch wieder nicht«, hörte sie die Sinhazinha sagen. »Aber ich merke schon: Meine Gesellschaft scheint dir nicht zu behagen.«
    Müde schüttelte Lua den Kopf. Es war vielleicht ein bisschen viel, was sie sich sowohl von Kasinda als auch von Eulália hatte anhören müssen. Wer war sie, dass ihr alle ihr Herz ausschütteten? Glaubte denn jeder, Luas Aufnahmevermögen für all das erlittene Elend sei unbegrenzt? Nun, sie wollte nicht ungerecht sein: Die eine wusste von der anderen ja nichts. Und es hatte ja auch durchaus etwas Schmeichelhaftes, wenn man von Schwarzen wie von Weißen für vertrauenswürdig genug erachtet wurde, sich ihre Geheimnisse, Nöte und Ärgernisse anzuhören.
    »Es ist nur«, erwiderte Lua lahm, »dass mich im Augenblick so viele Dinge beschäftigen. Meine Zukunft ist ungewiss, und …«
    »… die deines Kindes auch«, ergänzte Eulália.
    »Ach!«, sagte Lua ungehalten. »Ich weiß ja nicht einmal, ob ich wirklich ein Kind erwarte. Vermutlich lag mein Unwohlsein tatsächlich im ungewohnten Zuckergenuss begründet.«
    »Wie dem auch sei: Ich muss jetzt fort. Aber damit du mich nicht für eine eigennützige Schwätzerin hältst, die zu dumm ist, brauchbare Lebensmittel einzupacken – ich habe dir noch etwas mitgebracht.«
    Eulália griff in ihren Beutel, der nunmehr beinahe leer und schlaff herabhing, und fischte einen letzten Gegenstand heraus.
    Luas Puls beschleunigte sich merklich, als sie sah, dass es sich um ein Buch handelte.
    »Ich dachte mir, dass du es bestimmt noch nicht kennst«, sagte sie, wandte sich um und marschierte davon.

37
    L ula, wie sie den neuen Sklaven nannten, war derselbe Mann, der mit mir auf dem Sklavenschiff zum Takt der Peitsche hatte tanzen müssen. Er war derjenige, der mich nach dem demütigenden Spektakel hasserfüllt angeblickt und dadurch meine Wut – und meine Lebensgeister – geweckt hatte. Im Grunde verdankte ich ihm mein Leben.
    Ich erkannte ihn sofort, obwohl er in den nunmehr acht Jahren, die wir bereits in Gefangenschaft lebten, stark gealtert war. Da man ihn in Ketten vom Sklavenmarkt zur Fazenda gebracht hatte und er nur eine einfache Leinenhose trug, sah ich auf seinem entblößten Oberkörper hässliche Striemen, die er zuvor nicht gehabt hatte. Er musste unzählige Male ausgepeitscht worden sein. Er war mager, aber sehr muskulös, und in sein Gesicht hatten sich Falten der Bitterkeit eingegraben. Seine Mundwinkel hingen weit nach unten, doch seine Augen blitzten so zornig, wie ich sie in Erinnerung hatte.
    Auch er erkannte mich sofort. Wir nickten einander so unauffällig zu, dass es niemand bemerkte. Eine stillschweigende Übereinkunft, eine Art geheimer Pakt entstand zwischen uns, ohne dass wir auch nur ein Wort miteinander gewechselt hatten. Die Jahre der Gefangenschaft hatten uns einander nähergebracht, mehr, als es die quälende Enge eines Sklavenschiffs je vermocht hätte. Nachdem man uns unsere Namen und unsere Sprache, unsere Sitten und unsere Vergangenheit genommen hatte, war hier nun endlich ein anderer

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