Das Lied des Kolibris
zu. »Seitdem lebe ich mit der klammen Befürchtung, dass jederzeit die Sklavenjäger hier aufkreuzen könnten.«
»Du musst ja nicht hierbleiben. Niemand hat dich darum gebeten. Und außerdem bin ich mir sicher, dass sie dich in Liberdade furchtbar vermissen.«
»Ja«, sagte er einfach, als sei es das Natürlichste der Welt, dass die Bewohner des elenden Urwald-Quilombos ihn, ihren Anführer, vermissten. Seine Arroganz war unerträglich.
»Warum bist du dann nicht längst wieder unterwegs dorthin? Mir kannst du hier nicht weiter helfen.«
»Du bist noch nicht ganz reisetauglich.«
»Soll das heißen …?«
»Aber ja. Ohne dich gehe ich nicht.«
»Nun, es wird dir nichts anderes übrigbleiben. Denn ich gehe nicht mehr dorthin zurück.«
»Willst du lieber am Strand bleiben und verwildern? Oder dich den Weißen stellen und dich auspeitschen lassen? Sei doch nicht so verstockt, Lua! Liberdade ist unsere einzige Chance auf ein wenig Würde und Selbstbestimmung. Ich weiß ja, dass es nicht immer das reinste Zuckerschlecken ist da draußen. Aber welche andere Wahl haben wir denn? Und wenn wir zwei zusammenhalten, dann kann uns doch der Rest der Welt gestohlen bleiben. Was brauchen wir mehr als uns und unsere Liebe?«
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Was sie mehr brauchten als einander? Ihr fielen auf Anhieb tausend Dinge ein, die
sie
brauchte, doch sein leidenschaftlicher Gesichtsausdruck hinderte sie daran, sie aufzuzählen. Stattdessen wechselte sie abrupt das Thema.
»Und was ist mit Kasinda? Hast du die auch weggeekelt?«
»Nein, sie hatte von sich aus den Anstand, hier nicht mehr aufzukreuzen. Sie wollte unsere traute Zweisamkeit nicht stören.« Seine Stimme troff vor Hohn, doch es klang irgendwie falsch und gekünstelt.
»Die einzigen beiden Menschen, denen etwas an mir lag, hältst du von mir fern. Findest du, dass ich das als Zeichen deiner großen Liebe zu mir glücklich lächelnd hinnehmen sollte?«
»Warum nicht?«
»Und findest du nicht, dass auch ich das Recht auf Selbstbestimmung habe, das du andauernd für ›uns‹ beanspruchst? Mir scheint, du allein willst bestimmen, auch über mein Schicksal.«
Er hob entschuldigend die Schultern. »Die Entscheidungen, die du bislang allein getroffen hast, waren ja nicht von allzu großer Weitsicht geprägt.«
Leider musste sie ihm darin insgeheim zustimmen. Dennoch gab es ihm nicht das Recht, sich zu ihrem Vormund aufzuschwingen.
»Es haben demnach doch nicht alle Menschen einen Anspruch auf Freiheit? Dumme Frauen zum Beispiel, törichte Dinger wie ich, sollten vor sich selbst beschützt werden – und zwar von vorausschauenden, weisen Männern wie dir. Ist es nicht so, Zé? Die Freiheit steht nur dem zu, der sie auch zu nutzen weiß, oder? Alle anderen haben sich einem Anführer zu beugen.«
Zé lachte. Es begann mit einem leisen Grummeln, doch dann brach es laut aus ihm heraus. Lua wurde fuchsteufelswild.
»Was fällt dir ein, mich auch noch auszulachen? Geh mir aus den Augen, du Ungeheuer!«
Er lachte immer lauter. Inzwischen liefen ihm schon Tränen herab. »Ach, herrlich, Lua, herrlich! So gefällst du mir.«
»Hör auf damit!«, fuhr sie ihn an.
Aber sein unerhörter Heiterkeitsausbruch hielt an.
»Endlich bist du wieder ganz die Alte. Ach, wie ich dich vermisst habe, meine geliebte Lua! Willkommen im Leben!« Er sprang auf, riss sie ebenfalls hoch und wirbelte sie in der Andeutung eines Tanzes herum. Dass ihr überhaupt nicht nach Feiern zumute war, schien ihn nicht zu stören. Sie löste sich aus seiner Umklammerung und stürzte von ihm fort. Sie ging ein paar Schritte, doch da sah sie plötzlich Kasinda.
Sie hatte sich hinter einem Busch verborgen und das Paar beobachtet. Lua hasste sie in diesem Augenblick dafür. Sie wollte nicht, dass Kasinda Zeugin solcher Szenen wurde, die sie nichts angingen. Wie hatte Zé es ausgedrückt? »Sie wollte unsere traute Zweisamkeit nicht stören«? Pah, dass sie nicht lachte. Kasinda zeigte nicht einmal ansatzweise Anzeichen von Scham über ihren Mangel an Diskretion.
»Du sagen Mbómbo von Kind?«, fragte sie Lua. »Er froh werden Vater, nicht? Und du? Ist schön haben Familie.«
O Gott. Lua hätte sie verprügeln mögen.
»Halt den Mund, Kasinda!«, sagte sie barsch. Sofort danach schämte sie sich für den respektlosen Ton, den sie angeschlagen hatte. Das gehörte sich älteren Leuten gegenüber einfach nicht, ganz gleich, wie unverschämt sie selber
Weitere Kostenlose Bücher