Das Lied des Kolibris
sagte er trocken, und damit war es beschlossene Sache. Auch der Senhor hatte nichts gegen den Vorschlag einzuwenden, so dass Uanhenga kurz vor seinem achten Geburtstag in die Obhut Gorduchos gegeben wurde, der ihn zum Viehtreiber ausbildete.
Unser Junge war anfangs traurig, denn er dachte, wir hätten ihn loswerden wollen. Doch als er erst das Reiten erlernt hatte und ein eigenes Pferd reiten durfte, da wirkte er glücklich. Er hatte es gut bei Gorducho und den Tieren, denn tatsächlich hatte er eine ausgesprochene Begabung im Umgang mit allen Lebewesen. Er entwickelte sich zu einer Art Tierdoktor. Immer wenn es brenzlig wurde, rief man nach unserem Sohn, der zwar von Medizin keine Ahnung hatte, dafür aber wusste, wie man sich einem bissigen Hund näherte oder ein quiekendes Schwein beruhigte. Wir waren sehr stolz auf unseren Kleinen, der so klein schon bald gar nicht mehr war. Mit 13 Jahren war er in die Höhe geschossen und überragte mich bereits.
Als er 14 wurde, starb Gorducho. Wir alle, Uanhenga inbegriffen, waren der Überzeugung, man würde nun unserem Sohn die Verantwortung für die Rinder übertragen, was einen enormen Aufstieg innerhalb der Sklavenhierarchie bedeutet hätte. Aber es kam anders: Unser Senhor hatte sich wieder einmal in Schulden gestürzt. Und für einen jungen, starken Schwarzen, der noch dazu auf einem Gebiet so brillierte, wie es Uanhenga als Viehtreiber tat – denn sein Können hatte sich auf den Nachbarfazendas herumgesprochen –, konnte man sehr viel Geld verlangen. Mein Mann Muhongo versuchte einzuschreiten, erreichte aber nur, dass auch er verkauft werden sollte. Schließlich warf ich mich vor dem Senhor auf die Knie und bat darum, dass er dann auch mich verkaufen möge, aber um Gottes willen die Familie nicht auseinanderreißen solle.
»Dich? Was kriege ich schon noch für eine so ausgemergelte Alte wie dich?«, höhnte er.
Ich war 44 Jahre alt. Ich hatte noch alle meine Zähne und eine straffe Haut – im Gegensatz zu ihm – und fühlte mich körperlich durchaus nicht alt. Aber in meinem Kopf war ich einer 100-Jährigen näher. Der drohende Verlust von Mann und Sohn brachte mich an den Rand des Wahnsinns. Wie oft noch?, fragte ich mich. Wie oft sollte ich noch von meinen Liebsten getrennt werden und diese unerträglichen Schmerzen fühlen? Kein Leid ist furchtbarer als jenes, das eine Mutter empfindet, die ihr Kind verliert – und nachdem ich meine Familie in Afrika und später Nzinga verloren hatte, sollte ich nun auch meinen jüngsten Sohn hergeben. Anfangs schrie und heulte ich vor Verzweiflung, später saß ich nur noch stumm in der Ecke und versuchte, mein Denken abzustellen.
Muhongo tröstete mich in der ihm eigenen afrikanischen Art, die ohne viele Worte auskommt. Das Einzige, was er sagte, war: »Uanhenga wird es auf einer anderen Fazenda besser haben als hier.« Daraufhin begann mein Weinkrampf wieder einzusetzen. Wie oft hatte ich diese Worte schon gehört? Dass es woanders besser sei – wer wusste das denn schon? Und wer dachte daran, wie es mir erging, die im Begriff stand, von ihrem sechsten Kind getrennt zu werden? War es für mich etwa auch besser, wenn man mir alles fortnahm, was ich liebte?
Eines Tages war es dann so weit. Uanhenga wurde von seinem neuen Aufseher abgeholt. Ich stand stocksteif und ohne eine Miene zu verziehen an der Hofauffahrt und sah zu, wie die beiden Pferde sich immer weiter entfernten, bis sie nur noch als kleine Punkte am Horizont zu sehen waren. Ich hatte nicht gewinkt und kein Wort des Abschieds gesagt. Hätte ich auch nur einmal den Mund geöffnet, es wären nichts als erbärmliche Schluchzer herausgekommen. Muhongo ging es kaum anders als mir. Aber wenigstens war unser Junge frohen Mutes, und der Mann, der ihn abgeholt hatte, wirkte wie ein freundlicher Mensch. Vielleicht stimmte es ja, und Uanhenga hätte es dort besser als auf unserer Fazenda.
Schlechter ging es auch kaum noch. Unser Herr hatte sich verspekuliert und sein Vermögen eingebüßt, so dass er weitläufige Ländereien wie auch die Hälfte seiner Sklaven verkaufen musste. Die Senhora war nur noch ein Schatten ihrer selbst, man sah ihr die Scham über das verlorene Ansehen und die fortschreitende Verarmung an. Der Senhor war von seiner Trunksucht aufgedunsen und jähzornig geworden, und die Stimmung auf der Fazenda war miserabel. Fast alle mussten zusehen, wie ihre Angehörigen fortgeschickt wurden, und diejenigen, die wie ich ihren Mann in die Minen
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