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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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anpacken konnten, kam auch Zé nicht besonders zügig voran. Doch das gemeinsame Projekt hob ihre Stimmung, so dass sie unverdrossen an ihren jeweiligen Arbeiten herumwerkelten und die Lust nicht allzu schnell verloren.
    Meist schwiegen sie, doch es war ein schönes, ein harmonisches Schweigen, wie man es nur an der Seite von Menschen empfinden konnte, die einem sehr nah waren und die auch ohne Worte wussten, was man ihnen hätte mitteilen wollen.
    Nach zwei Tagen war ihre Hütte mitsamt dem Tarnnetz so weit gediehen, dass sie sie beziehen konnten. Es hatte zahlreiche Versuche erfordert, den Mechanismus mit der Zugleine so zu vervollkommnen, dass das Netz sich sofort über die ganze Hütte legte. Zunächst war es als trauriger Haufen auf dem Dach liegen geblieben, dann hatte sich die Zugleine verfangen, dann wieder war das Netz gerissen und hatte geflickt werden müssen. Oft genug stand Lua kurz davor, in Tränen auszubrechen, während Zé ein paarmal so aussah, als wolle er die ganze Konstruktion kurz und klein schlagen und das Netz in Stücke reißen. Aber schließlich hatten sie es geschafft. Sie waren stolz auf ihr Werk.
    Und sie machten reichlich Gebrauch von der neuen Intimität innerhalb ihrer eigenen vier Wände, so windschief diese auch sein mochten. An manchen Tagen gaben sie sich stundenlang den Freuden der körperlichen Vereinigung hin und erklommen gleich mehrmals den Gipfel höchster Lust. Es war wunderbar. Für eine Weile konnte Lua sich der Illusion hingeben, so würde es für immer bleiben: nur Zé und sie, allein in ihrer Strandhütte, frei von Sorgen und unbehelligt von der Niedertracht anderer Menschen.
    Doch in ihrem tiefsten Innern wusste sie, dass dieser paradiesische Zustand nicht von Dauer sein konnte. Sie erwartete ein Kind – und allein das war ein Grund, sich wieder in die sogenannte Zivilisation zu wünschen. Wie sollte das Kind zu einem normalen Menschen heranreifen, wenn es außer ihnen niemanden kannte? Wenn es keine Spielkameraden besaß und wenn es nie lernte, dass es auch Böses in der Welt gab? Wenn es nie ein gemauertes Gebäude sah oder auch nur eine Kuh? Nein, sie konnten nicht ewig am Strand bleiben.
    Dann, eines wolkenlosen Tages, trat der Fall ein, den Lua immer gefürchtet hatte: Zwei Männer gingen am Strand entlang. Sie war so sorglos geworden, dass sie sie erst entdeckte, als sie schon recht nah waren. Sie löschte das Feuer, auf dem ihr Mittagessen brodelte, kippte den dampfenden Inhalt des Topfes in hohem Bogen ins Unterholz und lief in ihre Behausung, wo sie zitternd an der Leine zog. Das Netz fiel mit einem Wusch über die Hütte. Nun konnte sie nur noch beten, dass sich ihre zahlreichen Versuche auszahlten und das Netz die Hütte auch wirklich vollständig verdeckte.
    Drinnen war es plötzlich dunkel geworden, und Lua hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ihr Herz pochte so heftig, dass sie den Widerhall davon in ihren Ohren spürte. Sie kroch ans Fenster und lugte durch die winzigen Löcher in dem dicht mit Laub bedeckten Netz. Ihre Sicht war zwar sehr eingeschränkt, aber es reichte, um das Wesentliche erkennen zu können.
    Was sie sah, ließ ihr den Atem erst recht stocken. Die beiden Männer waren der junge Manuel von São Fidélio und Rui Alberto von Três Marias, Bruder und Ehemann von Eulália also. Lua war neu, dass die beiden miteinander zu schaffen hatten. Freunde waren sie gewiss keine, denn die Bemerkungen, die Manuel bei Tisch manchmal über seinen Schwager hatte fallenlassen, waren nicht eben freundlich gewesen. Ob sie ein geschäftliches Projekt miteinander verband? Aber wieso hätten sie dazu an den Strand gehen sollen?
    Sie stapften über den nassen Sandstreifen, auf dem das Laufen mühelos war. Beide hatten die Hosen hochgekrempelt und hielten ihre Schuhe in den Händen. Lua starb tausend Tode, als sie plötzlich stehen blieben, und zwar genau auf der Höhe ihres Verstecks. Da Ebbe herrschte und die beiden sich in einiger Entfernung zur Vegetationslinie befanden, konnte sie nicht hören, worüber sie sprachen. Aber sie sah, wie Manuel mit dem Arm ausholte und auf die Palmen wies, und sie sah ebenfalls, dass Rui Alberto genau zu ihr hinschaute.
    Sie bekreuzigte sich und schloss die Augen. Nun würden sie sie holen kommen. Sie würden sie auspeitschen, sie die niedersten Arbeiten verrichten lassen und ihr das Kind wegnehmen. All das sah sie vor ihrem geistigen Auge, und sie war außerstande, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Wenn

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