Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
erahnen zu können.
    Erst als der Schinder, Monate später, abermals verreiste, kehrten meine Lebensgeister zurück. Ich wollte nach Muhongo sehen. Was hatte ich schon noch zu verlieren? Mein Leben war nicht einmal mir selber genug wert, es kostete mich also wenig Überwindung, es für einen kurzen Besuch bei den Minen aufs Spiel zu setzen. Ich war ohnehin der Überzeugung, dass ich nicht mehr lange zu leben hatte.
    Diesmal fragte ich Zêzé nicht um Erlaubnis. Ich marschierte einfach zum Eingang der Mine, in der Muhongo arbeitete, und wartete das Ende seiner Schicht ab. Als er, verdreckt und zu Tode erschöpft, herauskam, mit den anderen Sklaven zusammengekettet, da überkam mich ein so grenzenloses Mitleid, dass ich weinend vor meinem Mann auf die Knie fiel. Ich spürte, dass er bald sterben würde.
    Anders als bei meiner eigenen Prognose lag ich bei ihm richtig damit.
    »Steh auf, Kasinda. Bist du nicht eine stolze Tochter Afrikas?«, sagte er streng.
    Ich riss mich zusammen und erhob mich wieder. »Hier, Muhongo, nimm.« Damit reichte ich ihm eine saftig-süße
fruta do conde
, die ich eben erst bei Sopa ergattert hatte. Ich folgte Muhongos Blick und sah, dass der Aufseher nahte.
    »Schnell!«, zischte Muhongo mir zu und griff nach der Frucht. Er fummelte an ihr herum und gab sie mir im selben Moment zurück, als Zêzé bei uns ankam.
    »Kasinda! Willst du noch einen Finger verlieren?«, fragte er. Erst da bemerkte auch Muhongo, dass man mich verstümmelt hatte. Ich hatte es vor ihm geheim halten wollen, um ihm das Leben nicht noch schwerer zu machen.
    »Behalten Frucht«, sagte Muhongo zu mir in der Sprache der Verbrecher. »Essen selber, werden gesund. Gut für Uanhenga.«
    »Dein Mann ist klüger als du, Negerweib. Hör auf ihn und kurier lieber dein ›Uanhenga‹ aus. Du ersparst ihm, dir selber und auch mir viel Ärger.«
    Ich bemerkte Muhongos flehenden Blick und wollte ihm noch gern irgendwie mitteilen, dass meine Verletzung gut verheilt war und ich seiner Fürsorge nicht bedürfe. Doch da packte Zêzé mich grob an der Schulter und riss mich fort von dem Sklavenzug.
    »Weiter, Negerpack! Hier gibt’s nichts zu glotzen!« Und zu mir gewandt: »Verschwinde jetzt, bevor ich dir noch eins mit der Peitsche überziehe.«
    Ich nahm die Beine in die Hand und rannte zurück zum Haus des Schinders. Atemlos erreichte ich die Frauenhütte. Ich trank gierig einige Kellen Wasser, dann warf ich mich in meine Hängematte. Ich war allein in der Hütte. Die anderen Frauen hatten die Abwesenheit unseres Herrn ebenfalls genutzt, um zu verschwinden. Ich wusste, dass sie im Dorf für ein paar Münzen ihre Dienste feilboten, und der Schinder wusste es vermutlich ebenfalls. Warum er sie nicht dafür bestrafte, bei mir aber so kleinlich war, verstand ich nicht. Ich glaube, dass meine afrikanische Herkunft und meine freie Geburt dafür verantwortlich waren. Die anderen waren schon als Gefangene aufgewachsen, während ich eine der wenigen war, die direkt aus Afrika hierher verschleppt worden waren. Es beunruhigte die Menschen, so wie es das noch heute tut, denn sie verstehen unser Wesen und unsere Denkweise nicht.
    Jetzt erst untersuchte ich die
fruta do conde,
die ich noch immer in meiner vierfingrigen Hand hielt. Ich wusste, dass Muhongo etwas darin versteckt haben musste, denn seine Bemerkung, die Frucht sei gut für Uanhenga – was der Aufseher als den Namen einer Krankheit gedeutet hatte –, konnte nur das heißen. Die dicke, grüne, bucklige Schale ließ sich immer da, wo ein vom köstlichen Fruchtfleisch umschlossener Kern war, wie eine Schuppe einfach ablösen. Während meines Heimwegs hatte ich die reife Frucht ein bisschen gedrückt, und einzelne der Schalenschuppen waren schon recht locker. Ich nahm mir jede Stelle der
fruta do conde
genauestens vor, löste Schale und Fruchtfleisch heraus, lutschte den Kern ab und spuckte ihn aus. Und dann, als ich bei der Hälfte angelangt war, fand ich ihn: einen scharfkantigen Stein, der ein transparentes grünes Gebilde umschloss.
    War das ein Smaragd in Rohform? Ich hatte keine Ahnung. Besonders wertvoll sah mir diese Steinformation nicht aus, aber wenn Muhongo sein Leben riskiert hatte, um den Stein aus der Mine herauszuschmuggeln, dann musste er sehr kostbar sein. Hatte er geahnt, dass ich an diesem Tag kommen würde, um ihm etwas zu essen zu geben? Oder trug er jeden Tag solche Schätze mit sich herum? Das nächste Mal würde ich ihn danach fragen.
    Doch es gab kein

Weitere Kostenlose Bücher