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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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eine bräunlich grüne Paste erhielt. Diese strich ich auf ein großes Bananenblatt, das ich anschließend zum Trocknen in den Hof legte, wobei ich peinlichst darauf achtete, dass der Schinder nichts davon mitbekam. Wenn mich einer der anderen darauf ansprechen würde, würde ich behaupten, es handele sich um eine Art afrikanischer Seife – ich wollte ja nicht, dass irgendjemand davon kostete.
    Nach drei Tagen war die Paste getrocknet. Ich bröckelte sie von dem Bananenblatt ab und zerrieb sie zu einem gräulichen Pulver, das ich in ein Lederbeutelchen füllte. Nun musste ich es dem Schinder nur noch ins Essen mischen, was leichter gedacht als getan war. Es wäre nicht schwer gewesen, das Gift in den Kochtopf zu streuen, das nicht. Die Köchin setzte mich oft in der Küche ein, wo ich Gemüse schälen oder Schweineborsten von der Schwarte entfernen musste. Aber die Gerichte, die sie in größeren Mengen kochte, wurden von allen Mitgliedern des Haushalts verzehrt, und alle wollte ich ja nicht umbringen. Im Übrigen wusste ich nicht, wie wirksam mein Gift war und welche Menge ich brauchte. Ich wollte es mit einer kleinen Dosis allein für den Schinder versuchen, um das Ergebnis abzuwarten. Vielleicht wäre auch eine regelmäßige Verabreichung über einen längeren Zeitraum hinweg viel wirkungsvoller, abgesehen davon, dass man dann keinen Giftmord vermuten würde, sondern eine hässliche Tropenkrankheit. Das Einzige, zu dem allein der Schinder Zugang hatte, war sein Schnapsvorrat. Ich würde mein Gift – wenn es denn giftig war – in den Cachaça geben müssen, und an den wiederum kam ich kaum heran. Es wäre dazu sehr viel List und Kaltblütigkeit nötig.
    Als sich dann eines Tages die Gelegenheit ergab, zögerte ich keinen Augenblick. Ich hatte gerade in der Schlafkammer des Schinders den Nachttopf geleert, als er durch aufgeregte Rufe nach draußen geholt wurde: Einige Minenarbeiter hatten einen Aufstand angezettelt. In seiner Eile vergaß er, den Schrank abzuschließen, in dem er seinen Schnaps aufbewahrte. Ich lief schnell in unsere Hütte, holte mein Pülverchen und rannte dann sofort wieder ins Haus, hinauf in die Kammer des Schinders. Ich hatte Glück: Eine der Flaschen war schon geöffnet, so dass ich kein Siegel verletzen musste, und es fehlten erst ein paar Fingerbreit vom Inhalt. Ich beschloss, die Hälfte meines Giftes in die Flasche zu kippen. Ängstlich beobachtete ich, ob das Pulver den hellgelben Schnaps nicht trüben oder verfärben würde und ob es sich restlos auflöste. Aber nachdem ich die Flasche ein paarmal geschüttelt hatte, war nichts mehr zu sehen. Als ich sie in den Schrank zurückstellte, hörte ich schon die Schritte des Schinders auf der Treppe.
    Jetzt konnte ich nur noch abwarten.

45
    D er Schinder starb vier Wochen später. Es hatten ihn zunächst üble Koliken erfasst, dann litt er unter Durchfall und Erbrechen. Er führte es keinen Moment lang auf den Konsum des Schnapses zurück, sondern machte die schwüle Luft und vermeintlich verdorbene Lebensmittel dafür verantwortlich. Es gelang mir, eine weitere Flasche mit Gift zu versetzen, und je mehr er davon trank, desto schmerzhafter und schlimmer wurden seine Beschwerden. Irgendwann erbrach er Blut, und da wusste ich, dass es bald vorüber wäre mit ihm.
    Da er keine Erben hatte – denn seine zahlreichen Bastarde hatten keinerlei Anrecht auf das Vermögen, und ein Testament hatte der Schinder in seiner grenzenlosen Vermessenheit nicht gemacht –, wurde die gesamte Hinterlassenschaft versteigert. Der Erlös floss in den Säckel der portugiesischen Krone. Auch wir Sklaven wurden verkauft, und so kam es, dass ich eines Tages wieder halbnackt am Pelourinho in Salvador stand und angepriesen wurde: »Alte Negerin, um fünfundvierzig Jahre alt, noch sehr stark und gesund, im Besitz all ihrer Zähne, für alle anfallenden Arbeiten geeignet.« Es war demütigend, doch im Wissen um meinen geheimen Schatz ließ ich alles ungerührt über mich ergehen. Denn die schwierigste Hürde hatte ich bereits genommen. Ich hatte darauf bestanden, dass man mir mein Haupthaar nicht abschnitt, und, vielleicht aufgrund meines reiferen Alters, diesen Gefallen gewährt bekommen. In meinem dichten Kraushaar, das ich unter einer Haube zu einem dicken Knoten aufgetürmt hatte, befanden sich das goldene Herz und der Smaragd.
    Mein neuer Besitzer hieß Senhor Carlos. Es war der Vater unseres heutigen Herrn, Dom Felipe, auf São Fidélio. Er erwarb mich zu

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