Das Lied des Kolibris
versorgen. »Du kommst doch unauffällig da runter«, glaubte sie zu wissen, »da kannst du meinem Zeca doch mal was von den feinen Speisen der Herrschaft zustecken.«
Lua starrte ungläubig auf die Münze. Es musste ihr wertvollster Besitz sein, den sie wahrscheinlich seit langer Zeit wie einen Goldschatz hütete, und nun gab sie ihn hin für etwas Milch und Brot für ihren Zeca. Lua war gerührt über diesen Beweis großer Liebe und mochte die Münze nicht annehmen.
»Ich kann nicht«, sagte sie zu ihr, »ich weiß selbst nicht so genau, wo dieser Keller sein soll.«
»Dann finde es raus«, flehte die junge Frau.
Lua schüttelte abermals den Kopf, wusste jedoch bereits in ihrem tiefsten Innern, dass sie es tun würde. Ihre Neugier war einfach zu stark – und das Bedürfnis, den blöden Zé wiederzusehen, ebenfalls. Auch wusste Lua, dass sie der anderen für diesen Gefallen auf keinen Fall ihre Münze abnehmen würde. Dennoch streckte sie nun langsam die Hand danach aus: Lua wollte den Stolz der Arbeiterin nicht verletzen. Irgendwann würde sie ihr die Münze zurückgeben. »Na schön«, sagte sie betont überheblich. »Aber ich garantiere für nichts.«
Die junge Frau sah Lua hasserfüllt an, als sei sie überzeugt, die feine Haussklavin habe es nur auf die Münze abgesehen und würde keinen Finger krümmen, sobald diese einmal in ihrem Besitz war.
»Bestell ihm Folgendes von mir: Ki fwa o dimi. Hast du das verstanden? Ki fwa o dimi. Merk es dir gut. Und übermittle mir seine Antwort.«
»Ki fwa o dimi?«, wiederholte Lua entgeistert. Was sollte das nun wieder für ein Losungswort sein? Es hatte einen ähnlichen Klang wie die Wörter, mit denen Imaculada ihre abenteuerliche Geschichte anreicherte.
»Ganz genau. Und er wird dir darauf antworten.«
Lua war ein wenig beleidigt angesichts des Misstrauens, das die Frau ihr entgegenbrachte. Andererseits bewunderte sie sie für diesen schlauen Zug. So stellte sie sicher, dass Lua nicht einfach ihr Geld nahm und den armen Zeca dort unten im Keller verrotten ließ. Lua nickte kurz, ließ die Münze in ihrer Schürze verschwinden und wandte sich von ihr ab. Es musste sie ja niemand länger als nötig hier beisammenstehen sehen.
»Was wollte denn Maria Segunda von dir?«, fragte die dicke Maria auch gleich, die eigentlich Maria Terceira hieß, kaum dass Lua ins Herrenhaus kam. Bei der Auswahl der Namen für die Sklaven waren die Senhores nicht allzu erfinderisch, so dass sehr viele Frauen Maria hießen und die Männer José oder João. Sie überließen es dann den Sklaven, die Namen abzukürzen oder mit Zusätzen zu versehen, so dass man auch sofort wusste, von wem die Rede war. Die dicke Maria Terceira, die dritte Maria, war erbost darüber, dass eine Feldsklavin ihr zumindest dem Namen nach den Rang ablief, weil sie »zweite Maria« hieß. Zeca war eine Abkürzung von José Carlos, Zé von José, wobei es allein auf São Fidélio mindestens zehn Zés gab. Lua selbst hatte sich mit ihrem Namen nur deshalb abgefunden, weil er wenigstens unverwechselbar war. Lua bedeutete Mond. Es gab keine andere Lua außer ihr, nur den Mond am Himmel. Und dem hatte sie ja schließlich ihren Namen zu verdanken, denn angeblich war die Form ihres Gesichts wie die des Mondes, wenn er voll war. Als Kind war sie darüber ziemlich unglücklich gewesen, aber inzwischen gefielen ihr sowohl ihr Name als auch ihre Gesichtsform, die im Laufe der Jahre deutlich ovaler geworden war.
»Ach, nichts weiter«, sagte Lua zur dicken Maria, »sie wollte wissen, ob es ihrem Zeca gutgeht, aber da konnte ich ihr nicht weiterhelfen. Außerdem: Was haben wir mit diesem Feldnegerpack zu schaffen?«
Mit dieser Antwort gab Maria Terceira sich zufrieden, genau wie es Luas Absicht gewesen war. Hätte sie einfach nur schnippisch erwidert: »Was geht dich das an?«, dann hätte die dicke Maria weitergebohrt und womöglich hässliche Gerüchte über Lua in Umlauf gebracht. Man musste sich wirklich vorsehen bei dieser Schlange.
Noch am selben Tag ergab sich eine Gelegenheit, den Keller aufzusuchen. Sinhá Eulália erwartete Besuch und schickte Lua, um Wein für die Gäste heraufzuholen. Sie drückte ihr einen Zettel in die Hand, auf dem in übergroßen Buchstaben der Name des edlen Tropfens geschrieben stand. »So steht es auf dem Etikett, in Ordnung? Sieh dir die Flaschen genau an, und wenn du auf einer diese Buchstabenfolge erkennen kannst, dann bring sie mit. Oder besser, bring gleich mehrere mit.«
Lua
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