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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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nach hinten, auf und ab. Mein Publikum war begeistert. Meinem Leidensgenossen erging es ebenso. Man ließ ihn einen grotesken Tanz nach der Peitsche aufführen, und die Zuschauer lachten Tränen über sein hin und her schwingendes Geschlecht. Gelegentlich traf die Peitsche auch unsere Körper. Wenn wir uns vor Schmerzen krümmten, höhnten die Männer nur umso lauter.
    Es war ein unvorstellbar erniedrigendes Spektakel. Aus den Augenwinkeln nahm ich nur einen einzigen Mann wahr, dem unsere Darbietung keine Freude bereitete, sondern der es offensichtlich als so widerwärtig empfand, wie es war. Alle anderen begafften mich mit einer Mischung aus Verachtung und Begierde, während der männliche Tänzer mit unverhohlenem Neid angestarrt wurde, denn er hatte einen prächtigen Körper. Es grenzte an ein Wunder, dass er nach all dem Leid und den Entbehrungen noch immer so muskulös aussah. Einzig seine Augen waren von Eiter verklebt, ein Übel, das sehr viele von uns heimgesucht hatte. Ich führte es auf die giftigen Dünste zurück, die durch unser düsteres Gefängnis waberten.
    Irgendwann hatte unser erbärmlicher »Tanz« ein Ende. Man führte uns zurück nach unten und legte uns wieder in Ketten. Da der Mann in einer ganz anderen Ecke des Decks lag als ich, hatte ich keine Möglichkeit, mich anders mit ihm auszutauschen als durch Blicke. Diese Blicke waren es, die meinen Lebensmut wieder weckten.
    Trotz der Entfernung und der Dunkelheit konnte ich das Blitzen der Augen dieses Mannes sehen, die Wut darin und den Hass. Er schleuderte sie mir entgegen, als sei ich es, die sein Unglück verschuldet habe. Er löste damit eine Empörung bei mir aus, die vorübergehend alle anderen Gefühle überdeckte – bis ich irgendwann zu der Einsicht gelangte, dass sein Zorn nicht mir galt, sondern in mir, das heißt, in meiner Mitwisserschaft, Nahrung fand. Der Mann war es nicht gewohnt, Niederlagen hinzunehmen. Eine Zeugin in der Stunde seiner größten Demütigung gehabt zu haben versetzte ihn in eine mörderische Stimmung. Genauso hatte ich es bei allen Kriegern unseres Stammes gesehen, auch Uanhenga war ein solcher Mann gewesen. Aus der Wut schöpften sie Kraft für ihren nächsten Kampf. Und bei mir war es ja schließlich kaum anders: Der Ärger über die große Ungerechtigkeit, die dieser stolze Gefangene mir widerfahren ließ, stärkte mich und meinen Lebenswillen. Ich überstand den weiteren Verlauf der Reise – anders als zwei Drittel unserer Mitgefangenen. Als wir die Küste erreichten, hatte sich unsere Zahl auf rund hundert dezimiert.
    Damals wusste ich nicht, dass dieses Land Brasilien hieß, dass in ihm weiße Männer regierten und die Natur hier einen solchen Überfluss geschaffen hatte, dass man Sklaven benötigte, um die Ernte einbringen zu können. In meiner Heimat am Cubango waren Hungersnöte selten gewesen, doch eine so prachtvolle Fülle wie hier hatte es dort nicht gegeben. Bereits bei unserer Entladung von Bord sah ich Mangobäume, deren Äste sich unter den vielen Früchten bogen und unter denen jede Menge herabgefallene Mangos faulten. Wir wurden in einer langen Schlange aneinandergekettet und zu einem großen Holzgebäude geführt. Es war unmöglich, auszuscheren und eine der Früchte aufzuklauben, obwohl ich nichts lieber getan hätte. Meine Zähne wackelten schon, und selbst eine angefaulte Frucht erschien mir wie die himmlischste Speise auf Erden.
    Kurz vor dem großen Holzhaus konnte man einen Blick auf die Umgebung erhaschen, und dabei stellte ich fest, dass wir uns auf einer Insel befinden mussten. Nicht weit von uns sah man einen breiten Sandstreifen, der von riesigen Steinhäusern gesäumt wurde, die mit Türmen versehen waren und in der Sonne gleißend weiß leuchteten. Erst später lernte ich, dass es sich dabei um die Gotteshäuser der Sklaventreiber handelte. Es waren auf einem Hügel weitere imposante Gebäude zu sehen, alle gemauert und in fröhlichen Farben getüncht. Im Wasser lagen unzählige Boote und Schiffe aller Größen. Meine Vermutung, dass dies die Hauptstadt des Landes sein musste und wir auf einer Insel in der Bucht angelandet waren, erwies sich später als richtig.
    Auf dieser Insel sperrte man uns erneut in ein Gefängnis. Allerdings gab man uns hier bessere Kost und reichlich Wasser, sowohl zum Trinken als auch zum Waschen. Ich hatte den Eindruck, dass man uns erst einmal in Gewahrsam behielt, damit wir keine Seuchen einschleppten. Und so war es auch. Nach etwa zwei Wochen in

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