Das Lied des Kolibris
ein – und Lua erkannte, dass sich dieses Krachen und Klopfen in ihren Traum geschlichen hatte.
Sie stürzte ins Freie und sah, dass sich bereits eine Löschkette gebildet hatte. Ihr fiel die Episode mit dem leckgeschlagenen Sklavenschiff ein, doch sie verbot sich, weiter an diese schlimme Geschichte zu denken. Sie lebte hier und heute, und das Unglück der Alten ging sie nichts an. Also tat Lua das, was von ihr erwartet wurde: Sie eilte zur Casa Grande und beruhigte die Sinhazinha, die im Kreise ihrer Familie am Fenster stand und das Geschehen aus sicherer Distanz verfolgte. Die Scheune brannte nun nicht mehr ganz so lichterloh, und allmählich zeichnete sich ab, dass ihnen allen eine größere Tragödie erspart geblieben war. Die meisten der in Panik geratenen Tiere hatten aus den angrenzenden Stallungen fortgebracht werden können, und auch die Scheune selbst war in einem Zustand, in dem sie bald wieder instand gesetzt wäre.
Das einzige Familienmitglied, das sich nun endlich dazu herabließ, draußen nach dem Rechten zu sehen, war Sinhá Eulálias jüngerer Bruder, der Sinhô Manuel. Er war mit seinen 15 Jahren schon sehr reif und verantwortungsbewusst. Fernanda himmelte ihn an, obwohl er rein äußerlich nicht eben großen Eindruck machte. Aber seinen kleinen Wuchs und seine abstehenden Ohren machte er wett mit einer ruhigen, besonnenen Art, mit Freundlichkeit und Fleiß, mit Gerechtigkeitssinn und seiner Begeisterung fürs Geschäftliche. Sie beobachteten, wie er ein paar Sklaven dazu abkommandierte, Trinkwasser und Brot für diejenigen zu holen, die am Rande der Erschöpfung neben der angekohlten Scheune hockten. Er klopfte einigen von ihnen aufmunternd auf die Schultern, dann zog er ein blütenreines Taschentuch aus seiner Weste und reichte es einer jungen Frau, damit sie sich das vor Schweiß und Ruß verklebte Gesicht abwischen konnte. Er war eigentlich keine nennenswerte Hilfe, aber allein seine Gegenwart und die freundlichen Gesten gaben den Sklaven Auftrieb. Lua bemerkte, dass sich ein versonnenes Lächeln auf Dona Ines’ Antlitz legte – die Senhora liebte ihren Manuel mehr als ihre anderen Kinder, was sie jedoch zu verbergen suchte.
Das Feuer sollte ihnen in den folgenden Tagen noch viel Kummer bereiten. Dom Felipe suchte fieberhaft nach dem Schuldigen, denn dass es sich um keine natürliche Brandursache gehandelt hatte, das schien erwiesen. Alle Sklaven, sogar die Haussklaven, mussten sich in Reihen aufstellen und einem eigens herbeigerufenen Inspektor Rede und Antwort stehen. Was sie an jenem Abend gesehen hätten, wollte er wissen, was gehört und mit wem ihre Zeit verbracht. Lua kam ein wenig ins Schlingern, denn sie konnte dem Mann ja schlecht erzählen, dass sie sich erst mit einem Unruhestifter getroffen und danach die Erinnerungen einer alten Frau aufgeschrieben hatte. Also berichtete sie ihm, ihr sei an besagtem Abend unwohl gewesen, eine Version, die von Fernanda und anderen Mädchen gestützt wurde. Der Inspektor entließ sie schroff mit einem Handwedeln, als sei er überzeugt, eine allseits bekannte Lügnerin vor sich zu haben, der er es noch zeigen würde. Wahrscheinlich war es Luas schlechtes Gewissen, das ihr die Dinge in diesem Licht erscheinen ließen, denn im Grunde wurden die wirklich scharfen Verhöre unter den jungen Männern durchgeführt. Kindern, Frauen und Alten traute man so verbrecherische Handlungen wohl nicht zu.
Zé bekam Lua nicht mehr zu Gesicht. Erst Tage später erfuhr sie von Fernanda, die es von einer Feldsklavin aufgeschnappt hatte, die es wiederum von ihrem Geliebten wusste, dass Zé in den Keller gebracht worden war. Der »Keller« war ein Verlies unter der Casa Grande. Nach allem, was gemunkelt wurde, war es feucht und dunkel darin, und es wimmelte vor Ratten, Giftspinnen und Kakerlaken. Lua selbst, die doch die Casa Grande so gut kannte, hatte es nie von innen gesehen. Sie kannte einzig den Weinkeller, der ihr aber nicht sonderlich schaurig erschien, denn es war darin immer angenehm kühl. Dennoch empfand sie Mitleid mit Zé und den anderen drei Männern, von denen es hieß, dass man sie dort gefangen hielt. Die Beschreibungen des Sklavenschiffes waren Lua nur allzu deutlich in Erinnerung, und so malte sie sich aus, was die armen Kerle dort unten ausstehen mussten.
Etwa eine Woche nach dem Brand nahm eine hübsche Feldsklavin Lua beiseite, drückte ihr eine Silbermünze in die Hand und bat sie, ihren Liebsten im Keller mit Essen und Trinken zu
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