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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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knickste artig und rannte nach unten, immer den merkwürdigen Losungssatz vor sich hin murmelnd, damit sie ihn nicht vergaß. Auf der Kellertreppe kam ihr Lulu entgegen, dessen Name sich übrigens von Luís ableitete. Er blieb in der Mitte einer Stufe stehen und zwang sie dadurch, sich ganz dicht an ihm vorbeizuquetschen. Ihr war, als hörte sie ihn leise in sich hineinlachen.
    »Was ist so komisch?«, fuhr sie ihn an.
    »Der Gedanke, was ich jetzt und hier mit dir tun könnte, wenn ich es wollte«, erwiderte er.
    »Wie gut, dass du es nicht willst. Sonst sähe ich mich genötigt, dich die Treppe hinunterzustoßen«, zischte Lua und stieg, um Haltung bemüht, weiter die Stufen hinab. Sie hörte, wie Lulu von draußen die Kellertür verriegelte. Na warte!, dachte sie, dir Bürschchen werde ich es schon zeigen. Sorgen machte sie sich keine. Da in der Halle reger Durchgangsverkehr herrschte, würde sie nicht lange eingeschlossen bleiben. Außerdem hatte Lulu ihr unwissentlich einen Vorwand geliefert, um länger im Keller bleiben zu können.
    Sie trug ihre mit Walöl gefüllte Lampe mit beiden Händen vor sich her und sah sich aufmerksam um. Merkwürdig, dass sie das in all den Jahren, die sie in der Casa Grande quasi zu Hause war, niemals getan hatte. Weder die Vorratsräume noch die Verschläge, in denen sich Gerümpel anhäufte, hatten je ihr Interesse geweckt.
    Jetzt taten sie es. Denn plötzlich fiel ihr ein, dass sie in der Eile ganz vergessen hatte, etwas Essbares für die Gefangenen einzustecken. Sie ging also in den Raum, in dem Speckseiten und Käselaibe, Fässer mit Pökelfleisch und Stockfisch, Säcke mit Bohnen und Reis, Gläser mit eingelegtem Obst und Gemüse lagerten, und griff nach den Dingen, die man sofort verzehren konnte. Sie ergatterte
doce de cajú
, süß eingekochte Cashewfrüchte, außerdem Honig sowie ein paar Dauerwürste. Mehr konnte sie in ihrer Schürze, die sie an den Zipfeln hielt und damit zur Tragetasche machte, nicht transportieren. Es war auch so schon recht kompliziert, denn eine Hand brauchte sie ja noch, um die Lampe zu halten.
    Mit ihrer Beute schlich sie alsdann durch den schmalen Gang. Leise rief sie: »Ist hier jemand?« Sie tat dies mehr, um ihre eigene Beklommenheit zu überlisten. An eine Antwort glaubte sie nicht so recht, und sie erhielt auch keine, wenn man einmal von dem Geknister und Geraschel absah. Sie tappte weiter durch den Gang, vorbei an dem Weinkeller und hinein in einen anderen Gang, der eine scharfe Rechtskurve beschrieb. So weit war sie noch nie in dieses unterirdische Labyrinth vorgedrungen. Es gruselte sie zutiefst.
    Dabei gab es wahrhaftig nichts Schauriges zu sehen. Ein Raum war gefüllt mit Baumaterialien, sie erkannte die Dachziegel und Azulejos und Holzdielen, die in der Casa Grande zur Verwendung gekommen waren. Eine andere Ecke war bis zur Decke gefüllt mit alten Möbeln, die Lua nie im Haus gesehen hatte. Auf allem lag eine dicke Staubschicht. Sie wagte sich weiter, und abermals rief sie: »Hallo, ist hier jemand?« Da sie wieder keine Antwort bekam, rief sie dasselbe noch einmal, nur lauter. Und siehe da: Jemand hatte sie gehört, denn ganz schwach, wie aus weiter Ferne, war ein »Hier!« zu vernehmen.
    Luas Herz klopfte laut, und ihr Atem beschleunigte sich. Sie hatte Angst vor dem, was sie vorfinden würde, aber noch mehr fürchtete sie sich vor Entdeckung. Wenn jemand sie hier unten sah, wie sie mit Lebensmitteln unterwegs zum Kerker war, würde man sie monatelang auf die Zuckerrohrfelder schicken. Erneut hörte sie: »Hier! Hierher, gute Frau!«, gefolgt von einem metallischen Scheppern. Da schlug jemand gegen Gitterstäbe, fuhr es ihr durch den Kopf, und sie verfiel nun in einen Laufschritt. Beinahe wären ihr die Leckereien aus der Schürze gepurzelt, als sie eine feuchte, glitschige Stelle auf dem Steinboden übersah und ausrutschte.
    Die Rufe wurden lauter, und Lua folgte ihnen. Sie erreichte eine kleine Treppe und stieg mit zittrigen Knien die gerade einmal sieben Stufen hinab. Ihr war nun sehr mulmig zumute, doch sie nahm all ihren Mut zusammen und ging mit eingezogenem Kopf weiter. Und dann erklang plötzlich wieder der Ruf, diesmal aus nächster Nähe. Offenbar hatte sie tatsächlich den »Keller« im Keller erreicht. Zunächst sah sie wenig, denn nicht Gitterstäbe versperrten den Zugang zu dem Verlies, sondern eine massive Eisentür. Lua untersuchte sie eingehend und fand schließlich eine Klappe auf Augenhöhe, die sich öffnen

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