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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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hineinsetzte. Es handelte sich um einen untersetzten Mann mittleren Alters, dessen Miene ich nicht zu deuten wusste, da mir alle Weißen gleich erschienen, der aber mit herrischen Gesten zeigte, wes Geistes Kind er war.
    Die Kutsche rollte an, und wir Gefangenen mussten im Laufschritt folgen. Der Vorarbeiter und zwei seiner Gesellen ritten neben uns her und sorgten mit Peitschen dafür, dass keiner auf die Idee kam, schlappzumachen. Es war ein äußerst anstrengender Lauf. Wir hatten in den vielen Wochen in Gefangenschaft unsere Kraft eingebüßt. Zudem war es drückend heiß und feucht. Wenigstens dauerte die Quälerei nicht allzu lange an. Die Fazenda, zu der man uns brachte, lag nicht allzu weit außerhalb der Stadt, im Südwesten von ihr und ganz nah an der Küste der großen Bucht, die man, wie ich später lernte, die Bahia de Todos os Santos, die Allerheiligenbucht, nannte.
    Bei unserer Ankunft wurden Männer und Frauen voneinander getrennt. Wir Frauen wurden von einer älteren Schwarzen mit einem grausamen Zug um den Mund von Kopf bis Fuß gemustert. Dann setzte sie zu einer Rede an, die wir mehr schlecht als recht verstanden, denn nur gelegentlich ließ sie Wörter verschiedener Bantu-Dialekte einfließen. Ihr Sinn entschloss sich uns dennoch: »Ihr seid nichts. Ihr seid weniger als nichts. Ihr seid dreckige, faule, kranke, unwillige Neger. Aber das wird sich hier ändern. Ihr werdet euch in diesem Bottich säubern«, dabei wies sie auf einen großen Zuber, »ihr werdet euch kleiden wie anständige Christenmenschen, und ihr werdet die Sprache eurer Senhores lernen. Ihr bekommt neue Namen. Euer einstiger Rang im Kral interessiert hier niemanden. Alles Afrikanische gehört ab sofort der Vergangenheit an – alles. Wer dabei erwischt wird, wie er alte Stammesrituale pflegt, wie er in seiner Muttersprache spricht oder auch nur ein Gericht kocht, das komisch riecht, wird bestraft. Vor allem aber vergesst ihr eure Gottheiten und anderes heidnisches Zeug. Hier werdet ihr zu guten Katholiken erzogen. Wer sich an diese Regeln hält und sich der Führung durch unseren lieben Herrn im Himmel überlässt, dem wird es hier gut ergehen.«
    Man ließ uns nacheinander in den Zuber steigen, dessen Wasser nicht sehr sauber aussah. Danach schor man unsere Köpfe, um der Gefahr von Läusen vorzubeugen. Anschließend hüllte man uns in einfache Baumwollkleider und reichte jeder von uns eine Hängematte sowie einen Packen Wäsche, für deren Aufbewahrung und Reinigung wir fortan selber zuständig waren: Leibwäsche, ein zweites Kleid, Schürzen, Kopftücher sowie mehrere grobe Leinentücher, die wir uns zurechtreißen mussten: als Bettlaken, Handtücher oder Monatsbinden. Außerdem bekam jede von uns ein kleines Stück Seife. Ich biss hinein, da ich nie zuvor Seife gesehen hatte und dachte, es handele sich um eine kleine Stärkung. Sofort spuckte ich das abgebissene Stück wieder aus, woraufhin die böse Schwarze – ihr Name war Maria da Graça – mir mit ihrer Gerte einmal quer durchs Gesicht fuhr.
    »Du frisst hier keine Seife. Und wenn du noch einmal vor meinen Augen ausspuckst, setzt es zwanzig Hiebe.«
    Ich starrte auf die staubige Erde. Wenngleich ich kein Wort verstanden hatte, so begriff ich doch, dass ich etwas falsch gemacht hatte.
    Man reichte uns weiterhin ein Bündel mit den wichtigsten Lebensmitteln, also Bohnen, Reis und Maniokmehl, sowie einen Holzlöffel und einen Napf, der aus einer halben Kokosnussschale gefertigt worden war. Im Anschluss führte man uns zur Senzala.
    Der Anblick des riesenhaften, scheunenartigen Gebäudes, das nur eine dünne Trennwand aus geflochtenen Palmblättern hatte, nämlich zwischen dem Bereich der Männer und dem der Frauen, versetzte mich mehr in Erstaunen, als dass er mich erschreckte. Es gab kaum Fenster, nur ein paar wenige Lüftungsluken. Das Dach bestand aus Ziegeln, die auf einem grobgezimmerten Gerüst lagen. Diese Ziegel faszinierten mich damals sehr, denn ich kannte nur Dächer aus Stroh oder Palmwedeln. Dass die Ziegel durchaus auch Nachteile hatten, bemerkte ich schon in der ersten Nacht. Sie speicherten die Hitze des Tages, so dass es auch nachts noch glühend heiß in unserer Unterkunft war.
    Auf dem Fußboden hatte man Sägespäne ausgestreut. Überall hingen Hängematten, dicht an dicht. Oft waren sie in kleinen Grüppchen um eine Kochstelle angebracht. Man wies uns unsere Plätze zu und gab uns zu verstehen, wir mögen uns tunlichst schnell wieder an dem Tor der

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