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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Senzala einfinden. Ich befestigte meine Hängematte an ein paar dafür vorgesehenen Holzbolzen und verstaute meine Sachen darin. Von meinen neuen Nachbarinnen war keine anwesend, wahrscheinlich waren sie um diese Zeit alle noch bei der Arbeit.
    Vor der Senzala sammelten wir uns, Männer wie Frauen ganz andere als zuvor: Wir waren sauber, fast kahl, in fremdartige Kleidung gehüllt – und ausnahmslos verängstigt angesichts unserer ungewissen Zukunft. Die meisten von uns erwarteten wohl insgeheim, nun dem Stammeskönig vorgeführt und danach geschlachtet zu werden. Doch was dann geschah, war kaum besser: Wir wurden in einer Massenzeremonie getauft und erhielten neue Namen.
    Die meisten Männer wurden José, João oder Luís genannt, die meisten Frauen erhielten Doppelnamen, die ausnahmslos mit Maria begannen. Mich taufte man auf den Namen Maria Imaculada. Da ich nicht begriff, was in dieser Prozedur überhaupt vor sich ging, ließ ich alles über mich ergehen. Wie die meisten anderen auch war ich inzwischen zu der Überzeugung gelangt, es müsse sich um ein Opferritual handeln, bei dem wir armen Afrikaner einem bösen Zauberer dargeboten wurden, der mit einer Dornenkrone an einer Art Galgen hing und aus Händen und Füßen blutete.
    Ein Holzkreuz mit diesem Zauberer nämlich – natürlich unserem angeblichen Erlöser Jesus Christus, wie ich bald lernte – stand mitten auf dem Vorplatz der Kapelle, wo der Pfarrer unsere Taufe vollzog. Er betupfte unsere Stirnen mit Wasser, über dem er zuvor merkwürdige Gesten ausgeführt hatte, und beendete jede Taufe mit dem Wort »Amen«. Amen war eines der ersten Wörter, die ich auf Portugiesisch verstand, und monatelang glaubte ich, es müsse so viel bedeuten wie »stirb«. Als man uns nach vollzogener Taufe hieß, uns hinzuknien und die Hände zum Gebet zu falten, war ich sicher, dass wir geköpft werden sollten, zumal das Spektakel von mehreren Reitern beobachtet wurde, die schwerbewaffnet waren. Als nichts dergleichen geschah, sondern wir uns wieder erheben durften, war ich nicht einmal mehr in der Lage, mich zu freuen: Mir wurde vor Hunger und Entkräftung schwindelig und schwarz vor Augen. Zwei andere Frauen stützten mich und bewahrten mich davor, einfach umzukippen. Der Pfarrer, der den Vorgang beobachtet hatte, war begeistert. Ich schätze, er sagte etwas wie: »Seht dieses arme schwarze Ding, dem der Herrgott im Himmel in Form des Heiligen Geistes in die Glieder gefahren ist! Es weiß nicht, was ihm geschieht, aber bald wird es wissen, dass es beseelt ist von dem einzig wahren Glauben an die Liebe unseres Herrn Jesus Christus!«
    Der Pfarrer, der in Diensten des Fazendeiros stand, war, wie ich im Laufe der Zeit feststellte, ein wenig verwirrt angesichts unserer Stellung. Waren wir auf einer Höhe mit den Tieren anzusiedeln, so wie der Gutsherr und die meisten anderen Weißen es glaubten? Oder waren wir eher als Menschen zu betrachten, nun, nachdem wir getauft waren? Der Padre fand eine schlaue Lösung. Er rettete sich in die eigentümliche christliche Bildsprache, nannte seinen Gott einen »Hirten« und bezeichnete uns als dessen oder auch als seine eigenen »Schafe«.
    Zum Glück waren wir für diesen Tag erlöst. Wir durften in die Senzala gehen, die anderen Frauen kennenlernen, die bereits dort wohnten, durften kochen, essen und ruhen – um Kräfte für den nächsten, unseren ersten Arbeitstag zu sammeln. Ich blickte der Begegnung mit den Frauen bang entgegen. Würde eine darunter sein, die meine Sprache verstand? Wären sie wohlwollend und hilfsbereit? Würden sie mir helfen, mich in der Gefangenschaft und in der Fremde zurechtzufinden?
    Als ich den mir zugewiesenen Platz erreichte, stellte ich schnell fest, dass mein bescheidenes Bündel nicht mehr in der Hängematte lag. Die sechs Frauen, deren Matten um die Feuerstelle hingen und die sozusagen meine neue Familie sein sollten, beobachteten mich argwöhnisch aus den Augenwinkeln. Sie freuten sich wahrscheinlich schon auf mein Gezeter und Geheul in einer Sprache, die sie als lustiges Kauderwelsch empfinden mussten. Aber diesen Gefallen tat ich ihnen nicht. Ich gab keinen Mucks von mir und verzog keine Miene, als ich zur Hängematte der ersten ging, ihr blitzschnell den Arm um die Gurgel schlang und mit ihr rang, bis sie zu Boden fiel. Das dauerte nicht allzu lange. Dann ging ich zur zweiten, die den Vorgang beobachtet hatte und nun abwehrend die Hände hob. »Lass mich in Frieden, du Tier!«
    Es spielte

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