Das Lied des Kolibris
bedeutete, als es ihr und den Oliveiras recht sein konnte.
12
I ch träumte oft, ich sei in Cambundi. Es waren herrliche Träume, in denen alle Menschen gut zu mir waren, meine Sprache sprachen und mit mir gemeinsam lachten. Einer dieser Träume wiederholte sich besonders oft, warum, das weiß ich nicht. Es handelte sich um eine alltägliche Szene aus dem wahren Leben, die ich tatsächlich so erlebt hatte, bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls.
Ich war von meiner Wanderung in den Wald zurückgekehrt, mein Beutel voll mit kostbaren Kräutern, Rinden, Wurzeln und Blättern. Meine kleine Tochter schlief selig in ihrem Wickeltuch, und es erfüllte mich mit großem Glück, ihren regelmäßigen Atem auf meiner Haut zu spüren. Chilala kam mir zur Begrüßung entgegengelaufen, die dicken Ärmchen weit ausgebreitet und das Gesicht ein einziges Lachen. Meine Mutter Nzinga lief ihm schimpfend nach, doch es gelang ihr nicht, den Kleinen einzuholen. Ich wusste nicht, was er diesmal angestellt hatte, doch was es auch gewesen sein mochte, es konnte nichts wirklich Schlimmes sein, da das Gezeter meiner Mutter einen belustigten Unterton hatte.
Meine Schwester Thandeka reichte mir eine Kalebasse voll Wasser, denn ich war durstig nach dem langen Marsch. Wenig später hockten wir Frauen uns mit den Kindern um die Feuerstelle und aßen unseren Hirsebrei, den wir mit den Fingern aufnahmen. Erst am Abend, wenn die Männer heimkehrten, würde es ein reichhaltiges Mahl mit Fleisch oder mit frisch gefangenem Fisch aus dem Cubango geben. Wir starrten nachdenklich in den Himmel und fragten uns, ob wir mit irgendetwas den Zorn der Geister unserer Ahnen herausgefordert hatten, denn es hatte schon lange nicht mehr geregnet. Man würde die Geister beschwichtigen müssen, es gab schließlich Tänze und Gesänge, die sie sanftmütig stimmten. Wenn das nicht reichte, würde man ihnen Opfer darbringen müssen: Das Blut eines Huhns war unfehlbar.
Am frühen Abend kehrten die Männer von ihrer Jagd zurück und brachten Antilopenfleisch mit. Als die Sonne tiefrot am Horizont verglühte, wurden die Affen und Vögel in den Bäumen putzmunter und ließen ihr allabendliches Geraschel hören. Die Luft duftete nach heißer Erde und dem Qualm unserer Feuerstellen. Uanhenga kam in unsere Hütte und umarmte mich zärtlich, was er vor den Augen der anderen Männer niemals getan hätte. Wir sehnten die Nacht herbei, als hätten wir uns wochenlang nicht gesehen, dabei waren wir erst am Morgen auseinandergegangen.
»Kasinda«, rief da meine Schwester Mabuuda durch die Türöffnung unserer Hütte, »komm schnell, Ngônga hat sich einen Keil ins Bein getrieben!«
Ich schnappte mir mein Bündel mit den wichtigsten Arzneien, hängte mir meine Amulette um und lief zu der Hütte des Mannes, der zwar ein begabter Bildhauer, aber auch ein bekannter Trinker war. Wir alle hatten schon damit gerechnet, dass er eines Tages im Rausch seinen Keil nicht richtig auf dem zu bearbeitenden Holz ansetzen und damit abgleiten würde. In Ngôngas Hütte befanden sich bereits seine nächsten Angehörigen sowie die alte Heilerin, als deren Gehilfin ich mich betrachtete, auch wenn ich inzwischen schon sehr gut allein zurechtkam und von den Jüngeren im Dorf lieber gerufen wurde als meine Lehrmeisterin.
In Ngôngas Hütte sah es aus, als sei wochenlang nicht mehr gefegt worden. Die Kinder des Mannes waren verschmutzt und hatten entzündete Augen, sein Weib starrte trübsinnig auf die Erde. Wir alle hatten Mitleid mit ihr, obwohl doch ein Großteil der Schuld an diesen Zuständen ihr zufiel. Hätte sie sich besser um Familie, Hütte und sich selber gekümmert, wäre ihr Mann wahrscheinlich nicht dem Palmwein verfallen. In allen benachbarten Dörfern am Cubango-Fluss waren es die Frauen, die die eigentliche Macht besaßen, und man sah ja, wohin es führte, wenn eine Frau zu schwach war.
Der Bildhauer und Schnitzer, der einige der schönsten Masken und Totems unseres Stammes angefertigt hatte, lag mit schmerzverzerrtem Gesicht im Schmutz. Der Holzkeil, den er mit Hilfe eines Hammers in weicheres Holz trieb und ihm so die gewünschte Gestalt verlieh, steckte genau in seinem Oberschenkel. Immerhin hatte es noch niemand gewagt, den Keil aus seinem Fleisch zu entfernen, denn dann wäre der Mann womöglich verblutet, bevor Hilfe kam.
An diesem Punkt nun begann mein Traum unweigerlich, sich von der Realität zu entfernen. Die alte Heilerin nämlich riss den Keil aus Ngôngas Bein, woraufhin
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