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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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hindurchblitzte. »Irgendwann einmal werden Rui Alberto und ich als Ehepaar Europa bereisen, und ich schwöre dir, Lua, es wird im Winter sein, auch wenn die undankbaren Europäer alle davon abraten. Weißt du was? Vielleicht kann ich dich mitnehmen! Hättest du nicht auch Lust auf eine solche Reise?«
    »Aber ja!«, rief Lua aus. In Wahrheit hatte sie sich so exzentrische Träume niemals gestattet. Für sie war ja die Fahrt nach Três Marias schon ein echtes Abenteuer.
    Sie fuhren eine Weile schweigend weiter, jede mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Jetzt, da die Sinhazinha ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt hatte, beschäftigte auch Lua sich mit einer Reise in ein weit entferntes Land. Anders als ihre Herrin jedoch konnte sie nicht in Bildern von jener exotischen Kälte schwelgen, die sie nur aus Erzählungen kannten. Ihr drängten sich vielmehr die Szenen auf, die Imaculada in ihren Schilderungen heraufbeschworen hatte: riesenhafte Wellen, die das Segelschiff zu verschlingen drohten; rohe Matrosen, die die weiblichen Passagiere gierig anglotzten; unzählige Tote, die über Bord geworfen wurden; endlose Tage und Nächte in dunklen, stickigen Schiffsbäuchen.
    »Habt Ihr denn keine Angst vor der Passage?«, fragte sie die Sinhazinha irgendwann, als diese wahrscheinlich längst in Gedanken woanders war.
    »Im Gegenteil!«, rief diese. »Ich stelle mir so eine Schiffsreise grandios vor. Da hat man mit Mahagoni und Messing verkleidete Kabinen, schaut durch dicke Bullaugen auf das weite Blau des Meeres, diniert mit den anderen Passagieren und dem Kapitän … oh, kannst du mir mal eben den Schnürsenkel meines linken Schuhs zubinden?«
    Lua bückte sich, um ihr den Wunsch zu erfüllen, was in der Beengtheit der Kutsche und bei dem Gewackel gar nicht so einfach war. Luas Ketten hingen ihr ein wenig im Weg, aber sie schaffte es, das zierliche Schühchen wieder neu zu verschnüren. Als sie ihren Oberkörper wieder aufrichten wollte, nahm sie aus dem Augenwinkel ein Funkeln unter der Sitzbank wahr. Sie bückte sich erneut und fragte: »Soll ich Euch auch den anderen Schuh noch einmal neu schnüren, sicherheitshalber?« Unterdessen suchte sie den Boden der Kutsche mit den Augen ab. Und tatsächlich: Eine glänzende, nagelneue Goldmünze lag da. Sie sah aus, als sei sie ein Vermögen wert, obwohl Lua das nicht mit Bestimmtheit sagen konnte. Sie hatte wenig Erfahrung im Umgang mit Geld.
    Sie schnappte sich den Schatz und ließ ihn unauffällig in ihrer Schürze verschwinden. Doch wohl war ihr dabei nicht. Das war doch Diebstahl, oder nicht? Sollte sie der Sinhazinha nicht lieber die Münze aushändigen und dafür Lob oder sogar einen Finderlohn kassieren? Was sollte sie auch schon mit einem Goldstück anfangen? Es war ja nicht so, als würde es ihr an irgendetwas mangeln, und Ausflüge in die Stadt, um sich neue Hüte anfertigen zu lassen, gab es für sie nicht. Sie hatte die Münze nur wenige Augenblicke in ihrer Schürze getragen, doch es kam ihr schon jetzt so vor, als habe sie ein Loch hineingebrannt. Also holte sie sie wieder hervor, tat so, als habe sie sie geistesabwesend in ihrer Hand hin und her gerollt, und sagte mit gespielter Überraschung: »Seht nur, Sinhá Eulália, was ich auf dem Boden der Kutsche gefunden habe! Gehört sie Euch?«
    »Oh, Lua!«, rief Eulália aus und umarmte ihre Sklavin stürmisch.
    Lua verstand nicht recht, was in sie gefahren war. Ein so phantastischer Fund war es ja nun auch wieder nicht, jedenfalls nicht in ihren Augen.
    »Ich wusste, dass du nicht mit diesen Verbrechern gemeinsame Sache machst! Ach, Lua, ich bin so froh!«
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Lua tonlos, doch ihr schwante bereits, dass sie nur um Haaresbreite einer üblen Falle entkommen war.
    Die Sinhazinha sah Lua traurig und aufgeregt zugleich an, als könne sie es gar nicht erwarten, sich endlich alles von der Seele zu reden. Es musste sie ohnehin eine schier unmenschliche Mühe gekostet haben, den perfiden Plan vor ihrer Dienerin zu verheimlichen.
    »Mãe hatte diese Idee. Sie sagt, sie wüsste nicht, ob dir noch zu trauen sei, weil du nämlich neuerdings immer mit der alten Imaculada zusammenhockst und weil du auch eine von denen bist, die dem ausgepeitschten Sklaven geholfen haben. Sie sagte, du hecktest bestimmt Fluchtpläne aus, und wir sollten dich einem Test unterziehen. Also hat sie mir aufgetragen, meine Schnürsenkel schlecht zu binden und dich so dazu zu bringen, die Goldmünze auf dem Boden der

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