Das Lied des Kolibris
sie bei einem Fehler ertappt. »Und ich dachte, du hieltest dich für eine ›weiße Negerin‹.«
»Quatsch!«, zischte Lua. Aber im Grunde hatte er recht. Sie hätte sich niemals mit den »schwarzen Negern« vom Schlag einer Imaculada über einen Kamm scheren lassen – bis gerade eben.
»Umso besser …«, raunte er vielsagend, legte die Arme um sie und zog sie fest zu sich heran. Lua reichte ihm nur bis zur Schulter, und diese war breit und stark und dergestalt, dass sie nicht die Kraft aufbrachte, sich gegen diesen plötzlichen Überfall zu wehren. Zés Hände fuhren an ihrem Rücken hoch, verharrten einen Moment zwischen ihren Schulterblättern und bewegten sich dann weiter hinauf zu ihrem Nacken. Seine Berührung war fest und sanft zugleich, und Lua wurde davon ganz heiß und schwummerig. Er beugte seinen Kopf zu ihrem hinab und hauchte etwas in ihr Ohr, das ihr wie der süßeste Liebesschwur erscheinen wollte, so sinnlich kitzelte sein Atem auf ihrem Ohrläppchen, und so samtig war seine Stimme. Es dauerte einen Augenblick, bis das, was er gesagt hatte, zu ihrem Gehirn vordrang: »Komm mit mir, Lua. Lass uns frei sein, frei, uns zu lieben.«
Sie fasste es nicht. Noch in einem so intimen Moment brachte der Kerl es fertig, ihr mit seiner blöden Freiheit zu kommen! Schweren Herzens wand sie sich aus seiner Umarmung. »Nein«, sagte sie so bestimmt, wie es ihr möglich war. »Nein – ich gehe nirgendwo mit dir hin. Und ich will auch gar nichts über deine Fluchtpläne wissen. Wenn du es wagen willst, dann tu es, aber lass mich aus der Sache raus. Und wenn du vorhast, zu fliehen, dann verschone mich bitte auch mit deinen Annäherungsversuchen. Wir hätten ja doch keine Zukunft. Also, Zé: Leb wohl.« Damit drehte sie sich um und lief mit Herzklopfen zurück in Richtung Senzala.
Tränen liefen ihr übers Gesicht, und in all ihrer Trauer über die Unerfüllbarkeit ihrer Träume war sie zumindest über eines froh: dass Zé sie nicht weinen sah.
15
L ua schluchzte und hörte darum die Schritte nicht, die sich ihr näherten. An der südlichen Ecke der Senzala holte Zé sie ein.
»Warte, Lua«, raunte er in dringlichem Ton. Er griff fest nach ihrem Arm und zwang sie so, stehen zu bleiben.
»Wir haben uns nichts mehr zu sagen, Zé.«
»Oh, ich glaube doch«, flüsterte er und zog sie näher zu sich heran. »Wie wäre es zum Beispiel hiermit?« Er beugte seinen Kopf herab und legte seine Lippen auf ihre.
Lua leistete keinen nennenswerten Widerstand. Wie auch? Sie war überwältigt von der Süße seines Kusses, von der Weichheit seiner Lippen, von der Leidenschaft seiner Umarmung. Es war das, was sie sich ersehnt hatte, und es war genau so, wie sie es sich in ihren Tagträumen vorgestellt hatte. Ein wenig zögerlich erwiderte sie seine Zärtlichkeiten. Sie schlang die Arme um seine Taille und wagte es sogar, ihre Hand an seinem Rücken hinaufwandern zu lassen. Unter dem dünnen Hemd ertastete sie jeden Muskel, und die Beschaffenheit seines Körpers – fest und doch geschmeidig – ließ sie erzittern. Sie hatte noch nie einen Mann so berührt. Und sie hatte noch nie einen Mann so nah an sich herangelassen wie ihn.
Zé drückte sie fest an sich, so dass ihre Beine und Unterleiber sich durch die Kleidung hindurch berührten. Lua war erregt und zugleich ganz gelassen. Heute würde es passieren. Ihre anfängliche Ablehnung war ebenso schnell dahingeschmolzen, wie ihre Lust sich steigerte. Sie wollte ihn, jetzt. Selten zuvor war sie sich einer Sache so sicher gewesen.
»Komm mit«, flüsterte er mit rauher Stimme. Er rückte ein wenig von ihr ab und nahm sie bei der Hand. »Hier kann jederzeit jemand vorbeikommen. Ich weiß einen besseren Ort.«
Lua ließ sich bereitwillig führen. Welcher Ort das wohl wäre? Sie war der Meinung, São Fidélio besser als die meisten anderen zu kennen, aber ein Platz, an dem man wirklich ungestört wäre und der zugleich nicht nach Stall oder Hühnerpferch roch, wollte ihr nicht einfallen.
Sie schlichen an der Senzala vorbei, huschten über den Hof und bestachen den Hund mit einem weiteren Stück Fleisch, das Zé in ein Tuch eingewickelt in der Tasche dabeihatte. Dann liefen sie zur Casa Grande. Luas Herz blieb fast stehen, und sie hielt kurz inne. Doch Zé zog sie weiter, die Stufen zur Veranda hinauf.
»Das können wir nicht machen!«
»Warum nicht? Es ist kein Mensch da, die werten Senhores scheinen schon zu Bett gegangen zu sein, und dass andere Sklaven uns hier
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