Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
aufspüren können – der Geruch des Dungs überdeckte seinen eigenen. Sie würden einer falschen Fährte folgen, die er am Tag vor seiner »Flucht«, die im Augenblick ja noch gar keine war, gelegt hatte. Er war tief in den Wald hineingelaufen, hatte einen schweißgetränkten Fetzen seiner Hose an einem dornigen Zweig befestigt und sich ein paar Blutstropfen aus dem Finger gequetscht, diese dann an Baumstämmen abgerieben. Die Hunde würden also falschen Alarm geben.
    In seinem Versteck hatte Mbómbo einen Eimer, in dem er seine Notdurft verrichten konnte und den er dank Kasindas Schlauheit mit einem Holzdeckel versehen hatte, damit der Geruch ihn nicht verriet. Er hatte außerdem einen Wasserschlauch dabei sowie Proviant, der für eine Woche reichen würde. Er war genügsam. Er hatte sich nur Lebensmittel eingesteckt, wiederum mit Kasindas Hilfe, die wenig Raum einnahmen und einen hohen Sättigungswert besaßen: Räucherwürste, Speck und Cajú-Nüsse vor allem, aber für den Anfang auch Avocados und Bananen. Er musste bei Kräften sein, wenn seine eigentliche Flucht begann.
    Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass Enge und Dunkelheit in seinem Versteck ihn so quälen würden. Er hatte von sich geglaubt, dass er sich tagelang reglos an einem Platz aufhalten könne, so wie es den Erzählungen nach die afrikanischen Jäger konnten. Doch schon nach einem Tag in der beklemmenden Enge hatte er es kaum noch ertragen, und er musste eine schier übermenschliche Willenskraft aufbringen, um nicht die Abdeckung aufzustoßen, herauszukommen und sich zu strecken und zu dehnen. Aber Mbómbo war stark, sein Wille ebenso wie sein Körper. Er hielt durch, indem er sich geistig an einen anderen Ort versetzte – indem er sich in das Quilombo träumte, das er zu gründen gedachte.
    Sein großes Vorbild war das Quilombo dos Palmares und dort wiederum der Anführer Zumbi. Zwar hatte dieser letztlich ein unschönes Ende gefunden, aber seine Erfolge gegen die portugiesischen Soldaten, über Jahrzehnte hinweg, hatten Zumbi zum Symbol für den Widerstand gegen die Weißen gemacht. Als man ihn fasste, wurde er geköpft – und sein Kopf nach Recife gebracht, um öffentlich ausgestellt zu werden: Die Legende von der Unsterblichkeit Zumbis sollte im Keim erstickt werden.
    Palmares war tief im Landesinneren gelegen und hatte sich über eine Fläche von der Größe Portugals erstreckt. Es hatten dort zeitweise an die 30000 Schwarze gelebt, die aus der Sklaverei geflohen waren und hier ein Dasein in Würde und Selbstbestimmung führen durften. In diesen Größenordnungen bewegte sich Mbómbos Vision jedoch nicht annähernd. Ihm schwebte ein Dorf nach afrikanischem Vorbild vor. Mehr als hundert oder zweihundert Bewohner brauchte es gar nicht zu haben. Man würde einen Ältestenrat einführen, der bei Nachbarschaftsstreitigkeiten oder Ehezwist einschritt und der Verbrecher verurteilte. Eine Gruppe von klugen und lebenserfahrenen Männern würde gerechtere Urteile fällen als ein einzelner Gutsherr, der nur auf seinen Vorteil bedacht war. Man würde in Mbómbos Quilombo Jungen wie Mädchen eine dem Geschlecht angemessene Erziehung zuteilwerden lassen, deren oberste Priorität sein musste, sie zu lehren, wie freie Menschen zu denken. Die Männer würden jagen und sich in der Kriegskunst üben, denn mit Überfällen von den Portugiesen musste jederzeit gerechnet werden. Die Frauen würden sich um die häuslichen Angelegenheiten kümmern. Junge Leute würden sich vermählen können, mit wem es ihnen gefiel – immer vorausgesetzt, der Ältestenrat stimmte zu –, sowie ihre Kinder behalten und selbst erziehen können.
    Mit diesem Idealbild eines Quilombos vor Augen hielt Mbómbo das Eingesperrtsein durch, wann immer die widrigen Umstände ihn dazu verleiteten, sein Versteck vorzeitig zu verlassen. Er ertrug die Ratten und das Ungeziefer, die Hitze und den Regen, der durch das Stroh ins Innere drang, den Gestank und die Einsamkeit. Und dann hatte er es geschafft. Die Suche nach ihm war eingestellt worden. In derselben Nacht schlich Kasinda zu ihm, überreichte ihm einen Beutel und scheuchte ihn fort, während sie das Loch fein säuberlich verschloss und abdeckte. Mbómbo hielt kurz inne, drehte sich dann um und drückte die Alte fest an sich.
    »Ich werde dich benachrichtigen, sobald ich am Ziel bin. Danke für alles, Kasinda. Ich freue mich, dich in unserem Quilombo wiederzusehen.«
    Kasinda entzog sich seiner Umarmung. »Du dumm Mann! Schnell

Weitere Kostenlose Bücher