Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
Behörden in Salvador. Wenn der Kerl irgendwo auftaucht, wo andere Menschen leben, wird man ihn ergreifen. Und früher oder später muss er sich unter Leute wagen. Unsere brasilianischen Neger haben es ja nicht gelernt, in der Wildnis zu überleben. Sie sind hilflos wie kleine Kinder da draußen.«
    »Lua«, hörte diese plötzlich ihren Namen und erstarrte vor Schreck, »es gefällt mir nicht, wie faul du hier herumstehst und die Ohren spitzt. Hast du etwas zu diesem Thema beizutragen?« Dona Ines blickte sie scharf an.
    »Nein, Dona Ines, ich weiß gar nichts. Ich schwöre bei meinem Leben, dass ich, wenn ich etwas über den Flüchtigen wüsste, es Euch sagen würde!« Das entsprach selbstverständlich nicht ganz der Wahrheit. Wüsste sie etwas, würde sie es für sich behalten, schon um sich selbst nicht zu gefährden. Aber sie konnte ohne weiteres schwören, denn sie hatte ja wirklich nichts zu sagen. Sie war vollkommen ahnungslos. Obwohl … eine gewisse Ahnung beschlich sie schon.
    Die alte Imaculada hatte nur Lobendes über Zé geäußert. Zudem schien sie mehr über ihn zu wissen, als gut für sie war, unter anderem seinen afrikanischen Namen – Mbómbo, wenn Lua sich recht erinnerte. Und Imaculada war bestimmt
nicht
hilflos wie ein Kind in der Wildnis. Ob sie Zé geholfen hatte? Ihn mit guten Ratschlägen ausgestattet oder in geheimes Wissen eingeweiht hatte? Denkbar war es. Doch diesen Verdacht würde Lua ihrer Herrschaft gewiss nicht offenbaren.
    »Was ist? Was schaust du so merkwürdig drein? Hast du einen Geist gesehen?«, fuhr Dona Ines die junge Sklavin an.
    »Nein, Sinhá Dona Ines«, sagte Lua, ließ ihren Kopf demütig hängen und machte einen Knicks. »Es tut mir leid, wenn ich Euren Anforderungen heute nicht genüge.«
    »Schon gut, Lua«, mischte Eulália sich ein. »Lauf nach oben und bereite schon einmal mein Zimmer vor. Ich werde demnächst zu Bett gehen.«
    Abermals knickste Lua, dann machte sie sich schnellstens aus dem Staub, bevor der Senhora eine weitere Spitzfindigkeit einfiel. Sie war gereizt heute, das merkte man. Ob es der entlaufene Sklave war, der ihr zu schaffen machte? Lua konnte sich das kaum vorstellen. Sonst interessierte Dona Ines sich nicht im Geringsten für die finanziellen Belange der Fazenda, und ein flüchtiger Sklave stellte nun einmal in erster Linie einen materiellen Verlust dar.
    Lua ging zu Eulálias Zimmer und erledigte ihre allabendlichen Pflichten. Sie schlug das Bett auf, breitete das Nachthemd und die Nachthaube auf der Decke aus, legte alle Utensilien auf dem Waschtisch bereit und lüftete schließlich den Raum bei erloschener Lampe, um die kühlere Nachtluft, nicht aber die Mücken hereinzulassen. Danach zog sie die schweren Vorhänge zu und schlich sich leise wieder nach unten. Sie wollte unbedingt hören, was die Oliveiras noch alles über die Flucht und die Suche nach Zé zu besprechen hatten.
    Lulu horchte bereits an der Tür. Er gab Lua, wichtigtuerisch wie immer, Zeichen, sie möge leise sein. Was bildete der Bursche sich eigentlich ein? Dachte er, sie würde hier ein lautes Geschrei veranstalten? Also wirklich! Lua gesellte sich zu ihm und presste ihr rechtes Ohr an die Tür, so dass Lulu und sie sich ansehen mussten. Es war ihr unangenehm, aber immer noch besser, als so wie er das linke Ohr an die Tür zu legen und ihm den Rücken zuzuwenden.
    »Der Kerl kann nicht weit gekommen sein«, verkündete gerade Dom Felipe.
    »Aber er ist wie vom Erdboden verschluckt«, sagte der junge Manuel. »Das kann nur zweierlei bedeuten: Entweder ist er von einem Tier mit Haut und Haaren aufgefressen worden – denn andernfalls hätten die Hunde seinen Leichnam gefunden –, oder ihm ist die Flucht geglückt. Das wiederum kann nur heißen, dass er Helfer gehabt haben muss.«
    »Warum?«, wollte die Sinhazinha wissen. »Vielleicht hat er es ganz allein gewagt. Beim letzten Mal waren ihm die Kumpane ja anscheinend eher hinderlich als hilfreich.«
    »Das war ein Unfall«, klärte ihr Vater sie auf. »Die Kerle waren zu dumm, eine Fackel zu halten – und so was will die
Freiheit

    »Er hat also Helfer gehabt«, resümierte Manuel seine Beweisführung, ohne auf seine Schwester oder seinen Vater einzugehen. »Ich schlage vor, wir finden heraus, wer an dem Fluchtversuch beteiligt war, damit es nicht zu weiteren Vorfällen dieser Art kommt.«
    »Ich traue Lua nicht mehr«, steuerte Dona Ines nun zu dem Gespräch bei. »Sie benimmt sich anders als früher, und der

Weitere Kostenlose Bücher