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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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hineingehen und die Teller abräumen sollte, nämlich er. Lua sollte wenig später den Kaffee auftragen, der, wie sie wusste, längst auf dem Herd stand und wahrscheinlich schon begann, bitter und tranig zu schmecken. Sie würde ihn einfach mit etwas mehr Zucker servieren als üblich.
    Der Abend zog sich hin, ohne dass Lua noch weitere interessante Neuigkeiten erfahren hätte. Aber das, was sie gehört hatte, reichte ja auch fürs Erste. Sie konnte es nicht erwarten, sich endlich in ihre Hängematte fallen zu lassen und in Ruhe über alles nachzugrübeln. Es drohten zwei unmittelbare Gefahren. Erstens: Man würde sie vielleicht mit Lulu verkuppeln. Das war undenkbar, und sie würde sich einer solchen Verbindung mit allen Kräften widersetzen. Zweitens: Man war nicht restlos von ihrer Unschuld überzeugt, weil man sie mit Zé zusammen gesehen hatte, und womöglich würde man sie einer Befragung unterziehen, der sie nicht gewachsen war. Das war ebenfalls undenkbar, weshalb sie sich diesem Verhör unter allen Umständen entziehen musste.
    Als endlich die Sinhazinha vom Tisch aufstand, um sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen, war Lua schon ganz verstört, so lange hatte sie sich ausgemalt, was ihr schlimmstenfalls drohte. Sie folgte Eulália und schwieg, während sie ihre Arbeit verrichtete. Sie half ihrer Herrin aus dem Kleid und dem Korsett, löste ihren Zopf und kämmte ihr Haar, half ihr in das Nachtgewand und hörte sich ihr sinnentleertes Geplapper an. Irgendwann entließ sie Lua endlich.
    »Du hast an der Tür gelauscht, nicht wahr?«, fragte sie ihre Dienerin, als diese schon im Türrahmen stand.
    »Ich … nein, nein!«
    »Schon gut, Lua. Mir machst du nichts vor.«
    »Gute Nacht, Sinhazinha. Und … danke.«
    Lua lag die halbe Nacht wach und fragte sich bang, wie sie diese dritte Gefahr, die über ihr dräute, abwenden sollte. Wenn es stimmte und die Sinhá Eulália sie besser kannte, als sie ahnte, dann wäre sie ihr für den Rest ihres Lebens auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
    Aber war sie das nicht ohnehin schon?
    Zum ersten Mal wünschte Lua sich, frei zu sein.

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    Teil 2
    17
    M bómbo wagte nicht zu atmen. Über sich hörte er das aufgeregte Bellen der Hunde, das herrische Geschrei Dom Felipes, die Kommandos der Aufseher. Man stellte Suchtrupps zusammen, die ihn, den entflohenen Sklaven, aufspüren sollten. Hätte er nicht vor Angst gezittert, wofür er sich zutiefst verachtete, so hätte er vielleicht lachen können. Seine List schien erfolgreich.
    Wochenlang hatte er an der Wand der Scheune, an die der Hühnerpferch angrenzte, ein Loch in die steinharte Erde gegraben. Nacht für Nacht hatte er sich durch den trockenen Lehm gearbeitet, mit nichts weiter als einer rostigen Kelle als Hilfsmittel, die er im Schuppen stibitzt hatte und deren Fehlen niemandem auffallen würde. Als dieses Loch endlich eine Größe erreicht hatte, die einen Mann von seiner Statur aufnehmen konnte, hatte er sich der alten Kasinda anvertraut. Denn ohne ihre Hilfe wäre sein Plan zum Scheitern verurteilt gewesen. Sie musste ein Gitter aus geflochtenen Bambuszweigen über sein Versteck legen und dieses anschließend mit Stroh bedecken. Sie musste ebenfalls dafür sorgen, dass die Hühner diese Abdeckung nicht freischarrten oder dass irgendjemand dem Versteck zu nahe kam. Sonst würde noch versehentlich ein Kind hineinfallen.
    Mbómbo wusste, dass die Suche nach einigen Tagen eingestellt werden würde. Dann würde man Anzeigen in der Zeitung in Salvador veröffentlichen sowie Aushänge in den weiter entfernten Ortschaften anbringen. Die versprochene Belohnung zeitigte meist das gewünschte Resultat: Viele Flüchtige wurden noch Wochen später, wenn sie sich wahrscheinlich längst in Sicherheit geglaubt hatten, aufgespürt und zu ihren Herren zurückgebracht.
    Sobald die Suchtrupps nicht mehr ausschwärmten, um ihn zu fangen, wollte er aus seinem Loch hervorklettern und sich in Richtung Norden aus dem Staub machen. Vor dem Urwald brauchte man weniger Angst zu haben als vor den Hunden und den Gewehren der Jäger. Im Wald, davon war Mbómbo überzeugt, würde er überleben. Kasinda hatte ihm zahlreiche Ratschläge gegeben, und wenn er nur alle beherzigte, würde es schon gelingen.
    Er hockte reglos in seinem Versteck und hatte das dringende Bedürfnis, sich zu kratzen. Er war über und über mit Kuhmist bedeckt, der inzwischen zu einer festen Kruste getrocknet war. Nur so, hatte Kasinda gesagt, würden die Hunde ihn nicht

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