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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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kurzhalsige José hat mir erzählt, dass er sie neulich mit Zé gesehen hat – in enger Umarmung!«
    »Nein!«, rief Eulália aus.
    »Na warte«, zischte der Senhor.
    »Ach was?«, gab Manuel sein Staunen kund.
    Lua selber klebte an der Tür und spürte, wie ihr kalter Schweiß ausbrach. Sie sah Lulu direkt in die weit aufgerissenen Augen. Sein Gesichtsausdruck spiegelte ungläubiges Erstaunen wider, gepaart mit Wut. Aber er riss sich zusammen und sagte keinen Ton – immerhin wollte auch er nicht beim Lauschen an der Tür ertappt werden.
    »Ich glaube nicht, dass Lua damit etwas zu tun hat«, sagte Manuel. »Sie ist Haussklavin. Was versteht sie vom Dschungel, vom Überleben im Freien? Wenn überhaupt, dann hat sie ihm vielleicht etwas Proviant beschafft oder ihn mit ausgemusterter Kleidung von uns versorgt, denn dazu hat sie ja Zugang.«
    Lua war kurz davor, die Tür aufzureißen und für alle gut hörbar herauszuschreien, dass sie nichts, absolut gar nichts mit der ganzen Sache zu tun hatte. Aber Lulu, der ihren Stimmungsumschwung bemerkt hatte, zupfte an ihrem Ärmel und gab ihr durch seine Mimik zu verstehen, sie möge an sich halten. Später war Lua ihm dankbar dafür, doch in diesem Moment hätte sie ihn umbringen können.
    »Dazu haben noch andere Zugang. Fernanda hätte auch die Möglichkeit, aus der Casa Grande Lebensmittel oder alte Kleidungsstücke mitzunehmen«, bemerkte Eulália. »Und Lulu ebenfalls. Wenn mir einer verdächtig vorkommt, dann er. Er starrt mir immer auf die … auf das Dekolleté.«
    Die anderen im Raum lachten, und Lua musste ein hämisches Prusten unterdrücken. Lulu funkelte sie an, brachte es aber fertig, ansonsten reglos an Ort und Stelle zu verharren.
    »Das ist das Alter«, erklärte Dom Felipe. »Vielleicht sollten wir ihm bald eine Gefährtin aussuchen, dann lässt das Starren sicher nach.«
    »Keine schlechte Idee«, meinte Dona Ines. »Lua wäre doch dafür geeignet. Sie hat ja anscheinend seit neuestem ihr Interesse für das andere Geschlecht entdeckt, da wäre es nicht verkehrt, sie einem Neger zur Frau zu geben. Sie ist jung und wird uns bestimmt viele kleine Sklavenkinder gebären.«
    Lulu glotzte Lua lüstern an. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und verdrehte die Augen, dann bewegte er seinen Unterleib vor und zurück. Sie hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst, aber das ging in diesem Augenblick ja schlecht. Doch für diese Obszönität würde sie sich noch rächen!
    »Nicht Lua!«, rief die Sinhazinha aus. »Das könnt ihr nicht machen! Sie ist meine persönliche Zofe, und ich habe vor, sie nach Três Marias mitzunehmen, wenn ich erst einmal verheiratet bin – ohne Mann und Kinder, versteht sich. Sie soll ganz für mich da sein.«
    Ausnahmsweise einmal war Lua dankbar für die kindsköpfige Eigennützigkeit ihrer jungen Herrin.
    »Noch gehört Lua uns. Was nach deiner Hochzeit mit ihr passiert, das bestimmt dein Vater«, belehrte Dona Ines sie.
    »Trotzdem könnt ihr sie doch nicht diesem Widerling geben«, beharrte die Sinhazinha.
    »Warum nicht? Er sieht ganz passabel aus, und er ist recht anstellig.«
    »Warum müsst ihr Frauen immer am Thema vorbeireden?«, beschwerte Manuel sich. »Immer wieder gelingt es euch, früher oder später auf Hochzeiten zu sprechen zu kommen. Wenn ich daran erinnern darf: Wir sind eines wertvollen Sklaven verlustig gegangen. Ursprünglich haben wir überlegt, wer ihm geholfen haben könnte.«
    »Ja, und? Wirst du es uns jetzt endlich verraten?«, fragte die Sinhá Eulália schnippisch.
    »Ja. Ich bin der festen Überzeugung, dass es nur die alte Hexe gewesen sein kann, diese …«
    »Imaculada«, ergänzte Dona Ines.
    »Richtig, Imaculada heißt sie. Die war es, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
    Lulu runzelte die Stirn, während Lua fieberhaft darüber nachsann, wie Manuel, kaum dem Knabenalter entwachsen, zu diesem erstaunlichen Schluss hatte kommen können, zu dem sie selbst auch gelangt war. Anders als der junge Fazendeiro jedoch wusste Lua um die Fähigkeiten der Alten und um ihren ungebrochenen Stolz.
    Im Esszimmer überlagerten sich nun die verschiedenen Stimmen, denn jeder wollte seinen Kommentar zu dieser gewagten Theorie abgeben. Erst als Dona Ines ungehalten fragte: »Wo steckt eigentlich dieses faule Negergesindel? Wir sitzen seit einer Ewigkeit vor unseren leergegessenen Tellern«, da besannen Lulu und Lua sich auf ihre Pflicht. Sie gaben einander durch Handzeichen zu verstehen, wer als Erster

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