Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
sie nur rechtzeitig an die Kandare genommen hätte. Sie schlug vor, man solle das Mädchen doch einmal für ein paar Wochen auf die Zuckerrohrfelder schicken, denn die Ernte stand an, und jede Arbeitskraft wurde gebraucht. Eine hervorragende Idee, so lerne Lua Demut, befand Dom Felipe. Daraufhin sprach Eulália auch mit ihrer Mutter kein Wort mehr, und das nur wenige Wochen vor ihrer eigenen Hochzeit mit Rui Alberto.
    »Ich finde, dass hier viel zu viel Wirbel um dieses Mädchen gemacht wird«, sagte eines Tages Manuel, immer schon derjenige in der Familie, der mit dem schärfsten Verstand ausgestattet war. »Sie bringt nur Unruhe in die Casa Grande und auch in die Senzala. Nach allem, was man so hört, haben sich dort nämlich ebenfalls zwei Fronten gebildet, eine für und eine gegen die Zwangshochzeit.«
    »Was heißt hier ›Zwangshochzeit‹?«, rief Dom Felipe empört dazwischen.
    »Es ist doch ganz gleich, wie man es nennt. Dann eben die Liebesvermählung. Jedenfalls ist die ganze Aufregung überflüssig und hinderlich. Ich würde sowohl Lua als auch Lulu verkaufen.«
    »Nein!«, rief Eulália mit tränenerstickter Stimme.
    »Reg dich doch nicht gleich so auf, liebste Schwester. Dein Gemahl kann sie dir doch kaufen.«
    »Er soll mir etwas kaufen, was mir sowieso schon gehört? Und Ihr, Pai, würdet Ihr denn Geld von Eurem Schwiegersohn für eine Sklavin annehmen?«
    »Selbstverständlich würde er das«, beantwortete Manuel die Frage. »Es ist ja nicht so, als würdest du nicht eine außergewöhnlich hohe Mitgift mitbringen …«
    »Willst du damit andeuten, ohne diese Mitgift hätte Rui Alberto mich verschmäht?«, zischte Eulália.
    Genau das hatte ihr Bruder andeuten wollen, aber er hütete sich, es auszusprechen. Dennoch zürnte ihm seine ältere Schwester, so dass sie jetzt mit allen im Haus lebenden Angehörigen zerstritten war und mit keinem von ihnen mehr sprach.
     
    Ihr großer Bruder, der in Salvador das unbeschwerte Leben eines Studenten aus reichem Hause in vollen Zügen genoss, bekam von alldem nichts mit. Er hatte sich seit Monaten nicht mehr auf São Fidélio blicken lassen. Den Fragen des Vaters nach dem Fortgang des Studiums sowie den inquisitorischen Blicken der Mutter, die ihn jedes Mal nach seinem Privatleben aushorchte, wollte er sich nicht öfter als nötig aussetzen. Carlos war alt genug, sein Leben so zu führen, wie es ihm gefiel! Und es gefiel ihm nun einmal, sich mit heißblütigen Mulattinnen einzulassen, sich in zwielichtigen Spelunken herumzutreiben und seine äußerst großzügig bemessene Apanage am Spieltisch oder bei Hahnenkämpfen zu verwetten.
    Beim Hahnenkampf war es auch gewesen, dass er die Bekanntschaft von Paulo Barbudo gemacht hatte. Der hatte ihm schnell und unkompliziert aus einer Klemme geholfen, indem er ihm Geld geliehen hatte, das demnächst mit hohen Zinsen zurückzuzahlen war. Carlos fragte sich, ob er seine letzten Münzen erneut am Spieltisch riskieren sollte – die einzige Chance, möglichst schnell an eigenes Geld zu kommen, wäre nämlich ein ordentlicher Spielgewinn – oder ob er wirklich nach São Fidélio reiten musste, um seinen Vater anzubetteln. Auf die Moralpredigt des Alten hatte er überhaupt keine Lust, und auf die bohrenden Blicke seiner Mutter schon gar nicht. Beim letzten Mal hatte sie ihn rundheraus gefragt, ob er dem Alkohol zusprach, denn seine Haut sehe aufgedunsen aus, er habe dunkle Ringe unter den Augen und rote Äderchen um die Nase. Daraufhin hatte er ihr in seiner hochmütigen Art erklärt, der Mediziner in der Familie sei ja immer noch er, und er wisse, dass seine augenblickliche Verfassung von einer Sommergrippe herrühre, die er sich beim Diner auf der zugigen Veranda des Vizegouverneurs eingefangen habe.
    Das hatte fürs Erste für Ruhe gesorgt.
    Eine ähnlich gute Notlüge musste er sich nun für Paulo Barbudo ausdenken, um ihn um eine Verlängerung des Kredits zu bitten. Carlos litt beileibe nicht an einem Mangel an Phantasie. Dennoch fiel es ihm ungleich schwerer, einen hartgesottenen Kerl wie Paulo Barbudo anzulügen als seine Eltern. Man wusste ja nie, auf welche Ideen diese grobschlächtigen Verbrecher kamen, um ihr Geld einzutreiben. Da musste man schon eine sehr, sehr gute Geschichte parat haben.
    Als ihm endlich eine einfiel, mit der er sich unter die Augen des Geldverleihers wagen konnte, ging er in das Hurenhaus, von dem aus Paulo seine Geschäfte betrieb, und bat die alte Puffmutter um eine Unterredung mit

Weitere Kostenlose Bücher