Das Lied des Kolibris
Miene, deren sie fähig war, strich ihre Schürze glatt und klopfte an.
»Lua, nicht so schüchtern, komm herein.«
Sie sagte keine Silbe.
»Vielleicht hat Lulu es dir gegenüber schon angedeutet, obwohl doch eigentlich ich es dir zuerst sagen wollte … also, um es kurz zu machen: Ihr dürft heiraten.«
Lua fiel aus allen Wolken. Entgeistert starrte sie den Mann an, der vielleicht sogar ihr leiblicher Vater war, und fragte sich, wie er, der sie ihr Leben lang kannte, plötzlich so über sie verfügen konnte wie über eine Handelsware.
»Ich heirate den Kerl nicht!«, platzte sie schließlich heraus.
»Was soll das?«
»Wie kommt Ihr darauf, dass ich mit dem Kerl etwas zu schaffen habe, was über die Arbeit hinausgeht?«
»Jetzt aber mal halblang, du vorlautes Früchtchen! Du hast hier keine Fragen zu stellen. Du hast meine Entscheidungen auch nicht anzuzweifeln, schon gar nicht, wenn es sich um solche handelt, die doch nur zu deinem Vorteil sind. Als Ehepaar erhaltet ihr eine eigene kleine Hütte oder eine Dachkammer in der Casa Grande. Als Ehefrau wirst du dann auch in den Genuss regelmäßiger, ähm, fleischlicher Freuden kommen, und bald schon wirst du Mutter. Davon träumen doch alle jungen Frauen.«
»Ich hasse Lulu!«
Felipe Oliveira, der Herr über São Fidélio und 200 Sklaven, der sich stets für einen gerechten Senhor gehalten hatte, geriet über so viel Undank in Wut. Er hatte diesem Negermädchen ein Dach über dem Kopf gegeben, ihm Nahrung und Kleidung gegeben sowie Schutz angedeihen lassen. Er hatte seine Tochter mit ihr spielen lassen und Lua später als Hausmädchen in einer privilegierten Position arbeiten lassen. Ohne ihn und seine Fürsorge wäre sie längst eine ausgemergelte Feldsklavin mit vier Bälgern oder eine abgewrackte Hure in der Hauptstadt. Da sah man doch mal wieder, dass die Neger einfach nicht schätzen konnten, was man für sie tat.
Sie kosteten einen viel Geld in der Anschaffung und noch mehr im Unterhalt, und womit dankten sie es einem? Mit Faulheit, Aufsässigkeit und Verlogenheit! Und so waren sie alle, ganz gleich, wie nett sie aussahen oder wie gehorsam sie sich gaben oder wie lange sie schon bei einem waren.
Sim Sinhô
hier,
sim Sinhô
da – aber hinter ihren schwarzen Stirnen heckten sie nur Übles aus. Und Lua war da keine Ausnahme. Ein Teil der Familie war sie schon beinahe gewesen, eine Vertraute seiner Eulália. Und nun das!
»Mir ist egal, wen du hasst. Du wirst den Burschen heiraten, basta.«
»Nein.«
»Wie bitte? Hast du gerade ›nein‹ gesagt? Das ist doch wohl …« Mit einem Satz war Dom Felipe aufgesprungen und schlug Lua hart ins Gesicht. Das hatte er nie zuvor getan, und seine heftige Reaktion erschreckte ihn selbst. Das Prügeln überließ er seinen Aufsehern, er sah sich lieber als strenger, aber gütiger Herr, dem körperliche Grausamkeit zuwider war und der eher mit Ermahnungen zur Hand war als mit Schlägen.
Auch Lulu erschrak so sehr, dass er zusammenzuckte und beinahe mit dem Kopf gegen die Tür gestoßen wäre, an der er lauschte. Er wusste nicht, wieso der Senhor es sich in den Kopf gesetzt hatte, ihm Lua zur Frau zu geben, aber dass diese sich nun so vehement dagegen wehrte, das verletzte ihn. War er denn so schlimm? Andere Sklavinnen wurden vergewaltigt und bekamen von den Weißen helle Babys gemacht. Ihr hatte man ein besseres Schicksal zugedacht – und sie wehrte sich dagegen mit Händen und Füßen. Das war wirklich undankbar! Außerdem wusste sie doch gar nicht, was ihr entging. Wenn er daran dachte, was sie beide in den Nächten tun würden … In diesem Augenblick spürte er eine kräftige Hand, die ihn am Kragen packte und von der Tür fortzog.
»Was auch immer da drinnen geschieht und was auch immer du mit angehört hast, es geht keinen was an«, polterte die Köchin, die von Fernanda gerufen worden war. »Und du behältst es für dich, verstanden, Freundchen?«
Lulu nickte. Aber noch am selben Abend prahlte er vor seinen wenigen Freunden damit, dass er demnächst ein Ehemann und Vater wäre und in der Casa Grande leben dürfe. Niemand glaubte ihm.
Der Fall wurde für die Familie Oliveira zur Zerreißprobe. Eulália sprach nicht mehr mit ihrem Vater, weil dieser so herrisch über ihre Sklavin bestimmt hatte. Dom Felipe war erzürnt, weil seine Tochter bei Lua über die Jahre eine zu weiche Hand gezeigt hatte. Dona Ines stimmte ihrem Mann darin zu, dass die Auflehnung Luas zu verhindern gewesen wäre, wenn man
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