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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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müssen. Er führte sie auf dem Rückweg nach Salvador außerdem über die Fazenda São Fidélio, wo er dem Senhor die schlechte Nachricht überbringen musste, dass man seinen Neger nicht hatte finden können. Bei der Gelegenheit konnten sich einmal alle die Bäuche vollschlagen und vielleicht die eine oder andere Sklavin vernaschen.
    Doch was ihn dann auf São Fidélio erwartete, war noch viel besser.
    Eine Sklavin war geflohen.
    Und das erst vor wenigen Stunden.

21
    M bómbo war seinen Häschern nur mit äußerster Knappheit entkommen. Wären die Männer auch nur noch eine halbe Meile weitergegangen, hätten sie seine Hütte entdeckt. Nun aber freute er sich seines Lebens, wie er es selten zuvor getan hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein weiterer Suchtrupp so tief in den Urwald vordrang, war verschwindend gering. Mbómbo war so sicher, wie man es unter den gegebenen Umständen nur sein konnte.
    Außer einer einfachen Hütte hatte sein zukünftiges Dorf noch nicht viel aufzuweisen. Vor der Hütte gab es eine große Feuerstelle, die nicht nur zur Zubereitung seines Essens diente, sondern auch zum Schutz vor den allgegenwärtigen Mücken – wenn man bestimmte frische Zweige verbrannte, hielt der scharfe Qualm die Plagegeister fern – sowie zur Abschreckung aller anderen Tiere.
    Über den Büschen und an den Zweigen der Bäume lagen beziehungsweise hingen die wenigen Kleidungsstücke, die Mbómbo auf seiner Flucht hatte mitnehmen können. Er wusch sie in dem Flüsschen, wobei er weder Seife noch Steine zur Verfügung hatte, gegen die man den Stoff hätte schlagen können. Er tunkte sie also nur in das fließende Wasser und wrang sie aus. Es war ohnehin egal, wie er herumlief, denn es sah ihn ja keiner. Wären die Mücken nicht gewesen, Mbómbo wäre auch liebend gern nackt geblieben.
    Die Einsamkeit setzte ihm mehr zu, als er sich eingestehen wollte. Gelegentlich schaute er bei den Indios vorbei, aber sie schätzten die enge Nachbarschaft offenbar nicht so wie er. Häuptling Apoenã zeigte sich jedes Mal ausgesucht höflich, doch er blieb merkwürdig distanziert. Also beschränkte Mbómbo seine Besuche bei dem Stamm auf das Nötigste, und nötig waren sie nicht oft. Er kam erstaunlich gut zurecht in der Wildnis. Zwar ließen seine hausfraulichen Qualitäten zu wünschen übrig – nicht nur die Wäsche blieb fleckig, sondern auch die Hütte hätte sauberer sein können, und sein Essen war fad –, aber irgendwie schlug er sich durch. Er hatte ein Dach über dem Kopf und genug zu essen. Sonst hatte er nichts. Und das war, befand er, entschieden zu wenig.
    Er brauchte Gesellschaft. Die alte Kasinda hatte ihn angewiesen, sein Quilombo – oder das, was erst noch eines werden sollte – mit unmissverständlichen Wegweisern auffindbar zu machen, so dass weitere Flüchtlinge zu ihm stoßen konnten. Sie hatten sich auf ein Zeichen geeinigt, das Eingeweihte sofort erkennen, andere jedoch gar nicht wahrnehmen würden: eine auf eine bestimmte Weise verlaufende Kerbe in Baumstämmen. Wenn andere entflohene Sklaven sich nun immer nach Norden durchschlagen würden und dabei genügend Geduld und Glück hatten, würden sie irgendwann auf diese Folge von Kerben stoßen. So jedenfalls war der Plan gewesen.
    Inzwischen zweifelte Mbómbo daran, dass der Plan so unfehlbar war, wie Kasinda ihn hatte glauben machen. Niemand erschien. Er hatte mehrere Meilen vor seiner Hütte in einem großen Viertelkreis diese Kerben angebracht. Von dort aus verjüngte sich das Feld, in dem er Bäume gekennzeichnet hatte, trichterförmig, bis es kurz vor seiner Hütte endete. Jeder, der nach Norden marschierte, musste früher oder später an dem Viertelkreis ankommen, auch wenn sein Weg ihn vielleicht ein wenig mehr nach rechts oder nach links geführt hatte. Aber egal, wie genau Mbómbo horchte und beobachtete, nichts tat sich. Ob niemandem die Flucht aus der näheren Umgebung der Fazenda gelang, weil der Flüchtige schon frühzeitig gefasst wurde? Oder wollte vielleicht gar niemand fliehen? Hatte er in seinem unbeugsamen Freiheitsdrang den anderen Sklaven etwas unterstellt, das sie nie empfunden hatten?
    Je einsamer Mbómbo wurde und je mehr er grübelte, desto mehr wollte es ihm erscheinen, als habe er sich da in etwas hineingesteigert, das der Realität nicht standhielt. Die Freiheit hatte er sich schillernder vorgestellt. Frei zu sein musste doch mehr bedeuten, als nackt herumlaufen zu können und sich gehenzulassen. Die Freiheit hätte

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