Das Lied des Kolibris
nach mehr schmecken sollen als nach ungesalzenem Maisbrei und halbgarem Fisch. Doch sie stieß ihm zuweilen bitter auf.
Natürlich gab es Momente, in denen Mbómbo vor Glück hätte heulen können, dass ihm die Flucht geglückt war, dass er diesen Platz gefunden hatte und er den Schutz der Indios genoss. Aber das waren nur vereinzelte Lichtblicke in einem ansonsten eintönigen Tagesablauf, der sich von seinem alten Leben nur dadurch unterschied, dass er noch mehr arbeitete.
Denn von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Dunkelheit schuftete Mbómbo. Allein das Errichten der Hütte hatte ihn viel Schweiß und Mühe gekostet, was dem Ergebnis leider nicht anzusehen war. Ganz auf sich allein gestellt und mit keinem anderen Werkzeug als einem stumpfen Messer, das Kasinda für ihn aufgetrieben hatte, war die Arbeit an seiner schlichten Unterkunft eine riesige Herausforderung an Kraft und Erfindungsreichtum gewesen. Das Anlegen von kleinen Beeten, in denen er das mitgebrachte Saatgut ausbringen konnte, war von nicht minder großer Mühsal geprägt, zumal er nie viel Zeit dafür erübrigen konnte, denn zu aufwendig und langwierig war die Nahrungsbeschaffung.
Jeden Tag ging Mbómbo mit Pfeilen und Bogen, die er selbst angefertigt hatte, auf die Jagd. Doch wenn es ihm nach Stunden endlich gelang, einen Vogel zu schießen, durfte er sich keine Pause gönnen. Von einem Vogel allein wurde ein Mann seiner Statur nicht satt. Wenn er Glück hatte, erlegte er ein Capivara, dann hielt das Fleisch mehrere Tage vor. Aber Fleisch allein reichte nicht aus. Er musste auf Bäume klettern, um Vogeleier aus Nestern zu holen, und musste wilde Früchte und Wurzeln sammeln. Dies alles geschah unter manchmal unzumutbaren Bedingungen, denn der Regenwald kochte und dampfte an manchen Tagen, dass jede Bewegung zum Kraftakt ausartete.
Hatte er genügend Nahrungsmittel gesammelt und gejagt, musste auch noch alles zubereitet werden. Holz musste geschlagen und das Feuer geschürt werden. Angesichts der immerwährenden Feuchtigkeit war auch dies kein leichtes Unterfangen. Mbómbo hatte sich schon gelegentlich dabei erwischt, dass er sich nach São Fidélio zurückwünschte, wo er nach getanem Tagewerk abends einen großen Teller voll würzigem Bohneneintopf mit
carne seca
, Trockenfleisch, herunterschlingen konnte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wo das Essen für den nächsten Tag herkommen sollte. Nein!, ermahnte er sich dann jedes Mal, nein, ein gut gesalzenes Essen, sosehr er sich auch danach sehnen mochte, war es nicht wert, sich dafür schikanieren, misshandeln und erniedrigen zu lassen. Hier hatte er es allemal besser.
Und dennoch … Er lechzte nach menschlicher Gesellschaft. Die Lust auf einen abendlichen Schwatz vor der Senzala, das Verlangen nach Ablenkung durch Musik oder Tanz waren oft übermächtig, und seine Sehnsucht nach Lua war so stark, dass es schmerzte. Wie lange musste er hier noch allein vor sich hin vegetieren? War er verdammt zu einem ewigen Dasein als Einsiedler? Würde sein Traum von der Selbstbestimmtheit sich in einer geschmacklosen Suppe auflösen, deren Zutaten er selbst bestimmt hatte?
Dann wieder sah er die Bilder seiner Vergangenheit so deutlich vor Augen, dass er sich schwor, lieber einsam im Dschungel zu verrecken, als noch einmal halb totgepeitscht zu werden. Lieber war er den Grausamkeiten der Natur ausgesetzt als der Brutalität der Aufseher, und lieber lebte er mit den Widrigkeiten des Urwaldes als mit der Willkür der sogenannten Senhores.
Die »Herren« – ha! Was waren sie schon anderes als Glücksritter, die in der einst ungezähmten Kolonie fernab des portugiesischen Mutterlandes für ihre Dienste reich entlohnt worden waren? Und was für Dienste waren das gewesen? Mordend und plündernd hatten die Portugiesen sich die Indios unterworfen, sich ihr Land geschnappt und sich obendrein noch als »Entdecker« feiern lassen. Mit welcher Berechtigung ließ sich ein Felipe, Herr von São Fidélio, mit dem Titel »Dom« ansprechen? Soviel Mbómbo wusste, war sein ehemaliger Besitzer weder von adliger Abstammung, noch hatte er sich um sein Land verdient gemacht. Er hatte nichts anderes getan, als das ererbte Vermögen weiter zu mehren, und zwar durch Unterwerfung der Schwarzen sowie durch Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Allein dafür, dass er hohe Steuern an die Krone ablieferte und nicht murrte, hatte man ihn mit einem Titel bedacht.
Wie anders war da Mbómbos eigener Stammbaum. Es grenzte
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