Das Lied des Kolibris
wenig entgegenzusetzen. Er blieb steif in der Mitte des Rings stehen und starrte seinen Gegner furchtlos an, obwohl ihn durchaus Angst beschlich, der andere könnte ihn nun töten.
Mbómbo hatte nichts dergleichen vor. Er hatte einzig beweisen wollen, dass er nicht ganz so nutzlos war, wie die Indios ihn hatten aussehen lassen wollen. Diesen Beweis hatte er nun erbracht. Er verbeugte sich erst vor seinem Gegner, danach vor den Zuschauern. Erst jetzt erblickte er den Häuptling, der mit offenem Mund dastand und offenbar nicht glauben konnte, was er sah. Mbómbo ging gemessenen Schrittes zu ihm und verbeugte sich. »Häuptling Apoenã, ich danke dir, dass du mir die Chance gegeben hast, mich mit deinen Männern zu messen. Entscheide nun, ob ich den Tod verdient habe, weil ich nicht gegen wenigstens einen deiner Männer siegreich war.«
Apoenã gefiel der Stolz, der aus Haltung und Stimme des Mannes sprach. Er bettelte nicht um sein Leben, sondern er erwartete voller Würde das Urteil. Da Apoenã, wie alle Indios, einem tief verwurzelten Naturglauben anhing, in dem die Tiere eine große Rolle spielten, war er jedoch davon überzeugt, dass ein Todesurteil nur Unglück über ihn und seinen Stamm bringen konnte. Ein Mensch, der die Schlauheit des Affen, die Eleganz der Schlange, die Kraft des Jaguars, die Geduld einer Spinne und die Leichtigkeit eines Schmetterlings in sich vereinte, der verdiente eine gesonderte Wertung außerhalb der Regeln des Wettbewerbs.
»Da du den Besten unserer Männer besiegt hast, werde ich dir das Land geben, um das du gebeten hast.«
Mbómbo fiel vor dem Älteren auf die Knie. Mit Mühe musste er die Tränen unterdrücken, so groß war seine Erleichterung.
»Unter einer Bedingung.«
»Ja?«, flüsterte Mbómbo und sah dem Indianer tief in die Augen.
»Du musst lernen, wie man ein Kanu rudert und wie man mit Pfeil und Bogen umgeht. Cauã wird dein Lehrmeister sein. Du wirst ihm dafür einige der kunstvollen Sprünge aus deinem Tiertanz beibringen.«
Mbómbo senkte voll Dankbarkeit den Kopf.
20
A lle hatten sich gegen sie verschworen. Lua konnte nicht glauben, was ihr widerfuhr. Nie zuvor hatte man sie so deutlich spüren lassen, dass sie eine Sklavin war und keinerlei Mitspracherecht in dieser Angelegenheit besaß, einer Angelegenheit immerhin, die ihr Leben entscheidend verändern würde: ihre eigene Hochzeit.
Natürlich wäre es keine Hochzeit im herkömmlichen Sinn, denn Sklaven besaßen nicht das Recht, sich offiziell zu vermählen. Man konnte sie jederzeit verkaufen und so von ihren »Ehegatten« trennen. Auch das Recht auf ihre eigenen Kinder wurde ihnen abgesprochen. Dennoch sahen es die Weißen gern, wenn die Sklaven ein gottesfürchtiges und moralisch einwandfreies Leben führten, und dazu gehörten nun einmal Eheschließungen bei zwei Menschen, die einander zugetan waren und eine Familie gründen wollten. Selbstredend, dass die eheliche Treue dabei nur von den Sklaven erwartet wurde, nicht aber von den Senhores oder den weißen Aufsehern, die weiterhin ihre dunkelhäutigen Favoritinnen beschliefen.
Lulu dagegen war im siebten Himmel. Er wusste selbst nicht genau, womit der diese »Ehe« verdient hatte, doch er war schlau genug, es sich nicht anmerken zu lassen. Als Dom Felipe ihn eines Tages zu sich rief, hatte er zunächst mit einem Tadel gerechnet. Doch dann hatte der Senhor ihn gefragt: »Stimmt es, dass du dich gern mit Lua vermählen würdest?«
Lulu war aus allen Wolken gefallen, doch seinen verwirrten Gesichtsausdruck musste der Senhor als Verlegenheit interpretiert haben, denn er fuhr fort: »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Lua und du eine … nun ja, eine gewisse Verbindung pflegt. Du brauchst dich dafür nicht zu schämen, das ist schon in Ordnung. Kennen wir ja alle«, hier lachte er anzüglich, bevor er in ernsterem Ton weitersprach. »Und weil ihr beide, du und Lua, gute und treue Neger seid, soll euch die Hochzeit gewährt werden.«
»
Sim
, Senhor,
obrigado
, Senhor«, stammelte der völlig überraschte Bursche.
»Gerne, mein Junge. Und jetzt schick mir Lua rein, damit ich ihr selbst die schöne Botschaft übermitteln kann.«
Lulu flitzte aus dem Raum, zerrte Lua aus der Küche und sagte ihr erst, als sie schon vor dem Arbeitszimmer angelangt waren, worum es ging: »Große Pläne hat der Senhor mit uns beiden, mit dir und mir. Ich weiß nicht, wie er drauf gekommen ist, aber er hält uns für ein Liebespaar.«
Lua strafte ihn mit der herablassendsten
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