Das Lied des Kolibris
ihm.
»Der Kerl ist seit Wochen verschwunden!«, rief die Frau. »Wenn Ihr ihn findet, richtet ihm aus, dass er sich gar nicht erst wieder blicken zu lassen braucht. Meine Mädchen werden von anderen Zuhältern entführt. Die Kunden meiden unser Haus, weil es ohne den Bärtigen hier nicht mehr so sicher ist wie vorher. Und der Scheißsklave, den er jagt, ist doch sowieso längst über den Jordan.«
»Ach, er ist Sklavenjäger?«, erkundigte Carlos sich, ehrlich interessiert.
»Na ja, nur, wenn die Belohnung hoch genug ist. Aber diesmal ist er zu lange fort, seine anderen Geschäfte vernachlässigt er zu lange, und seine Kunden«, dabei schaute sie Carlos durchdringend an, »werden allmählich ungeduldig.«
»Das stimmt allerdings«, sagte Carlos und setzte eine arrogante Miene auf, was er wie kein Zweiter beherrschte. »Wenn er wiederkehrt, richte ihm aus, der
Doutor
Carlos habe ihn sehen wollen.«
Die Frau nickte, offensichtlich beeindruckt von dem Doktortitel, den Carlos führte, ohne auch nur sein Zwischenexamen bestanden zu haben.
Carlos nickte ernst und bedächtig zurück, ganz der
Doutor
. Innerlich jubilierte er. Die alte Schlampe würde Paulo Barbudo ausrichten, dass er, Carlos, da gewesen sei – und der würde annehmen müssen, dass er zur Tilgung seiner Schuld gekommen war.
Carlos würde diese unverhoffte Schonfrist zu nutzen wissen.
Unterdessen war der Bärtige auf der Jagd nach dem Sklaven, der von São Fidélio entflohen war – und am Ende seiner Weisheit. Es war schlicht und ergreifend unmöglich, dass jemand, der angeblich weder über Geld noch über einflussreiche Helfer verfügte, wie vom Erdboden verschluckt war. Entweder hatte Dom Felipe ihm ein paar entscheidende Details vorenthalten, oder aber der Flüchtige war wirklich tot.
Anfangs hatten sie eine vielversprechende Spur verfolgt, die geradewegs nach Norden führte, immer tiefer in den Urwald hinein. Sie hatten erloschene und schlecht verdeckte Feuerstellen gefunden, wie sie kein Indio je hinterlassen würde, genauso wenig wie jemand, der nicht verfolgt wird. Sie hatten anhand von Kot, der von keinem Tier des Waldes stammen konnte, der Person folgen können. Seine Männer waren voller Tatendrang gewesen. Je weiter sie kamen, desto entschlossener fahndeten sie nach dem Neger, die hohe Belohnung schon fast in Reichweite.
Und dann verlor sich die Spur, einfach so, mir nichts, dir nichts. Der Trupp stieß auf einen kleinen Indiostamm, der feindselig wirkte. Seine Männer ließen ihn auf Paulo Barbudos Anweisung hin in Ruhe, obwohl ihnen Wut und Enttäuschung Mordgelüste einflößten, und sie Lust hatten, die Wilden ein bisschen zu ärgern. Doch wie jeder vernünftige Mensch wusste Paulo, dass sie hier im Wald keine guten Chancen gegen die Indios hatten. Diese waren in der Überzahl und mit den Gegebenheiten des Dschungels viel besser vertraut als seine Horde, die sich überwiegend aus städtischem Gesindel zusammensetzte, aus Trunkenbolden, Dieben und Mördern.
Der Häuptling der Indios ließ sich immerhin dazu herab, im Tausch gegen einen kleinen Spiegel, den Paulo zufällig mitführte, ein paar Fische und Früchte herauszurücken. Nach Wochen waren alle froh, wieder einmal etwas Frisches essen zu können, anstatt immer nur von Dauerwürsten und Mehlfladen zu leben. Der Häuptling berichtete bei dieser Gelegenheit, er habe seit Jahren keine Fremden im Wald gesehen und wünsche auch künftig keine Störungen, von Weißen genauso wenig wie von Schwarzen. Er bekräftigte seine Forderung mit einem kräftigen Strahl Spucke, den er gekonnt genau vor Paulo Barbudos Füßen landen ließ. Der Trupp zog ab.
Um auf dem Rückweg an die Küste seine Männer bei Laune zu halten, musste Paulo sich etwas einfallen lassen. Sie alle, er eingeschlossen, waren wütend und enttäuscht. Jede andere Fährte, der sie vielleicht noch hätten folgen können, wäre mittlerweile kalt. Sie hatten sich mit solcher Gewissheit auf diese eine Spur konzentriert, dass sie zu viel Zeit vergeudet hatten. Dabei wusste doch Paulo Barbudo besser als die meisten anderen Männer, dass man nicht alles auf eine Karte setzte. Wie oft er unvorsichtigen Spielern Kredit gegeben hatte, wie oft schon dumme Burschen am Spieltisch ausgenommen!
Er animierte seine Männer dazu, Schlangen, Krokodilen und Jaguaren nachzusetzen, denn deren Häute und Zähne brachten wenigstens ein bisschen Geld ein, wenn auch nicht so viel, wie die Männer an »Teilnahmegebühr« hatten bezahlen
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