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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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ihnen ja schon der Gebrauch eines Messers verboten gewesen, es sei denn, es wurde zur Ausübung ihrer Arbeit benutzt.
    Sie würden hier draußen einen Schmied brauchen, dachte Zé. In den Senzalas des Recôncavo, der Gegend rund um die Hauptstadt, gab es jede Menge guter Handwerker, und diese galt es bevorzugt hierherzulocken. Wie sollten sie jemals über ein primitives Hüttendorf hinauskommen, wenn es keine Schmiede und Maurer, keine Gerber und Tischler, keine Müller, Böttcher und Weber gab? Feldsklaven allein reichten nicht, schon gar nicht, wenn sie so phantasielos waren wie João und Luizinho. Einzig mit Körperkraft kamen sie hier nicht weiter.
    Solche Gedanken geisterten Zé pausenlos im Kopf herum, und er wünschte sich, er hätte mehr Zeit, sich ihnen zu widmen und ein wenig genauer zu planen. Aber die hatte er nicht. Mit Ausnahme der Nächte wurde hier ununterbrochen gearbeitet, zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Und abends war er zu erschöpft, um noch einen klaren Gedanken fassen zu können. Vor allem um die Frage, wie er an qualifizierte Handwerker herankommen sollte, kreiste sein Denken. Viele dieser Männer standen bei ihren Senhores in hohem Ansehen, einigen erlaubte man gar, sich durch Nebentätigkeiten einen kleinen Zusatzlohn zu verdienen. Welchen Anreiz hätten solche Sklaven, die sich kaum mehr versklavt fühlten, in die Wildnis zu fliehen? Was erwartete sie schon hier außer Arbeit, Hunger und Einsamkeit? Ach, Musiker, die brauchten sie auch, fiel Zé plötzlich ein. Wie viel schöner war es doch, abends um ein Feuer herumzusitzen und einem schönen Lied zu lauschen oder gemeinsam zu singen! Und einen Heilkundigen könnten sie ebenfalls gebrauchen. Die Mückenschwärme und das feuchte Klima machten ihnen sehr zu schaffen, und allmählich bestätigte sich Zés Verdacht, dass Marilu sich ein hässliches Tropenfieber eingefangen hatte.
    Es hatte mit Schüttelfrost und Gliederschmerzen begonnen, die die junge Frau nicht weiter beachtet hatte. Danach sah es so aus, als sei die Krankheit überstanden, bis Marilu ganz unvermittelt so schwach und fiebrig wurde, dass sie ihrer Arbeit beim besten Willen nicht mehr nachkommen konnte. Als sie begann, Blut zu husten, hielten alle drei Männer sich von ihr fern – niemand konnte es sich hier draußen erlauben, krank zu werden. Als Marilu immer schwächer wurde, machte Zé sich auf den Weg zu den Indios, obwohl er deren Skepsis bezüglich ihrer kleinen Siedlung kannte. Sie gaben ihm ein Pulver mit, das er in heißem Wasser lösen und der Patientin einflößen sollte. Zé konnte nicht glauben, dass es wirken würde.
    Aber das tat es. Nach etwa einer Woche befand Marilu sich auf dem Weg der Besserung, und sie alle atmeten auf. Es wäre kein gutes Omen gewesen, in einem so frühen Stadium ihres Abenteuers einen Menschen zu verlieren. Doch mit diesem Risiko lebten sie ständig. Bisher war den Männern noch nichts Schlimmeres zugestoßen, als dass sich einer beim Stolpern über eine Wurzel einen Zehennagel abgerissen hatte, einer nach der Berührung eines giftigen Strauchs einen juckenden Ausschlag bekommen hatte und der dritte, nämlich Zé, zum Opfer eines ganzen Schwarms von Blutegeln geworden war. Solche Dinge passierten hier andauernd, und wären sie nicht alle vier jung und gesund gewesen, hätten sie sicher mehr Anlass zur Sorge gesehen.
    Es waren jedoch andere Vorkommnisse, die Zé wirklich bekümmerten. Einmal war João im Wald einem Indiomädchen begegnet und hatte es belästigt, was einen dunklen Schatten auf ihr Verhältnis zu dem Stamm geworfen hatte. »Aber die Kleine war scharf wie Chili«, behauptete João, »die war so was von reif.« Dass er sie nicht vergewaltigt hatte, war nur dem Umstand zu verdanken gewesen, dass im letzten Augenblick ein paar andere Mädchen auftauchten und sie gemeinsam auf den Angreifer losgingen.
    Ein anderes Mal war Luizinho von der Jagd mit einem prächtigen, fetten Capivara zurückgekehrt. »Lag in einem Loch, hab es nur rauszerren müssen«, prahlte er. Dass das Loch eine Falle gewesen war, die die Indios gebaut hatten, dass er demnach deren Beute gestohlen hatte, auf diese Idee kam der dümmliche Kerl gar nicht. »Aber wieso, das Tier lag da sicher schon eine ganze Weile. Hätte ich es nicht genommen, wäre es verendet.« Zé brachte den riesigen Nager zu Häuptling Apoenã und bat vielmals um Entschuldigung. Die gute Nachbarschaft mit den Tupinambá-Indianern war entscheidend für ihr Überleben.
    Er

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