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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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alle waren abhängig vom Gelingen des Experiments »Liberdade« – sie waren zu Sklaven der Freiheit geworden.

24
    A ls Lua erwachte, wusste sie zunächst nicht, wo sie sich befand. Sie rieb sich die Augen, und dann war plötzlich wieder alles da. Sie saß am Küchentisch eines Hurenhauses!
    Ihr Nacken schmerzte, weil sie an ebendiesem Tisch eingenickt war. Ihre Augen brannten, weil sie sich in den Schlaf geheult hatte. Und ihre Füße fühlten sich taub an, weil sie einen so ungewohnt weiten Weg zurückgelegt hatte – nur um hier zu enden. Sie spürte neue Tränen aufkommen. Aber zu weinen machte müde, und Lua wollte wach sein. Sie brauchte all ihre Kraft, um vielleicht doch noch einen Ausweg aus ihrer scheußlichen Lage zu finden.
    Sie sah sich in der erstaunlich ordentlichen und sauberen Küche um. Sie war allein hier, aber wie lange noch? Es gab ein Fenster, das, wie Lua feststellte, auf einen kleinen Hof hinausging. Vielleicht konnte sie einfach dort hinausklettern und dann die Beine in die Hand nehmen? Aber hätte man sie dann hier allein gelassen? Sie wanderte ein wenig in dem Raum herum und entdeckte dabei einen prall gefüllten Vorratsschrank. Sie nahm sich einen angeschnittenen Laib Brot heraus und brach große Stücke davon ab, die sie sich gierig in den Mund stopfte. Himmel noch mal, war sie hungrig! Sie griff nach einer Seite Speck, hievte sie auf einen Arbeitstisch, auf dem ein Brett und ein Messer lagen, schnitt sich eine Scheibe davon ab und vertilgte auch diese in Windeseile.
    Ein Messer! Erst hatte sie es nur als Küchenwerkzeug wahrgenommen und benutzt. Aber auf einmal durchfuhr sie der Gedanke, dass ein Messer durchaus auch andere Zwecke erfüllen konnte. Sie schob es schnell von oben in ihren Rockbund und hoffte nur, dass es dort auch blieb und nicht etwa bei der kleinsten Bewegung herabfiel. Von draußen hörte sie gedämpftes Gemurmel und Gelächter. Ihr Puls raste. Hoffentlich reichte die Zeit, bevor jemand kam und nach ihr schaute. Vielleicht war die hübsche Mulattin, die sie bei ihrer Ankunft hier angetroffen hatte, ja nur kurz einmal auf dem Abtritt verschwunden? Hastig schnappte Lua sich ein paar Lebensmittel, schnürte aus einem Küchentuch einen Beutel, den sie mit diesen füllte, und öffnete dann das Fenster. Sie warf den Beutel und das Messer hinaus, damit sie beweglich genug wäre, hinterherzuklettern. Das Messer gab ein ohrenbetäubendes Klirren von sich, als es auf der Erde auftraf. Oje, oje, jetzt aber schnell!, ermahnte Lua sich, die einen kurzen Moment vor Schreck wie gelähmt war.
    Sie sprang hinaus, schnappte sich ihre Sachen und rannte auf einen Torbogen zu, durch den ein schwacher Lichtschein drang. Es schien der einzige Ausgang aus diesem Hof zu sein. Als sie aus dem Torbogen heraustrat, sah sie eine vornehme Kutsche, die direkt vor dem Freudenhaus gehalten hatte. Daneben stand – der Bärtige! Er begrüßte den Kunden wie einen guten alten Freund und rühmte die Vorzüge des Etablissements.
    »Hab heute was Neues reingekriegt. Hübsch, adrett, sauber. Piekfeine Manieren – ist genau das Richtige für einen Cavalheiro wie Euch. Wird aber ein hübsches Sümmchen kosten.«
    Lua wurde fast schlecht bei dem Gedanken, dass sie damit gemeint war.
    »Sie muss aber noch ein bisschen, ähm, vorbereitet werden«, fuhr Paulo Barbudo fort. »Ihr könnt sie frühestens morgen nehmen, wenn sie sich ausgeheult hat und ein bisschen hübscher aussieht.«
    Hier lachte der Kunde lüstern. Es schien ihm große Freude zu bereiten, dass ein Mädchen solche Qualen ausstand, weil es unfreiwillig hier war und zu bestimmten Dingen gezwungen wurde – Dingen, die Lua sich in allen ekelhaften Einzelheiten gar nicht vorstellen wollte.
    »Ich wette, sie ist noch Jungfrau. Das soll die alte Dora mal herausfinden. In diesem Fall wäre sie natürlich nur zu einem sehr hohen Preis zu haben, aber für einen Mann von Eurer Klasse ist das sicher kein Problem. Ist doch ein ganz besonderes Vergnügen, so ein junges unerfahrenes Ding zuzureiten, nicht wahr? Wenn sie sich zieren und schreien …«
    Der Kunde leckte sich die Lippen und fasste sich an den Schritt. Er erwiderte etwas, sprach jedoch zu leise, als dass Lua ihn hätte verstehen können. Ihr ging nur eines durch den Kopf: Sie musste hier weg, und zwar sofort! Diesem widerwärtigen Lüstling würde sie sich gewiss nicht hingeben, eher würde sie sterben. Einzig der Gedanke, dass der fürchterliche Kerl sie nicht mehr würde entjungfern

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