Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
aber da die Schwester von Frühstück gesprochen hatte, nahm sie an, dass es Morgen sein musste.
    »Hier hast du frische Kleidung«, sagte die Frau und legte ihr einen säuberlich gefalteten Stapel aufs Bett. »Deinen Nachttopf musst du selbst leeren, ich zeige dir nachher, wo. Und waschen kannst du dich unten, da gibt’s eine Pumpe und eine Schüssel.«
    Abermals nickte Lua nur.
    Die Ordensfrau nickte zurück und verließ die Kammer, diesmal, ohne sie abzuschließen.
    Lua streckte sich und ließ sich Zeit mit dem Aufstehen. Dieses Strohlager war tausendmal bequemer als alles, worauf sie bisher geschlafen hatte. Sie fühlte sich erfrischt und voller Energie. Sie schöpfte wieder Mut. Gewiss würde ihr Schicksal nun eine bessere Wendung nehmen. Die guten Schwestern schienen das Herz am rechten Fleck zu haben. Wenn Lua erst einmal frische Kleidung trug, gewaschen war und sich gestärkt hatte, würde sie einen richtigen Fluchtplan ausarbeiten, mit Verstand und Raffinesse. Ihr gestriges unüberlegtes Weglaufen hatte sich ja nicht gerade als die beste Idee erwiesen.
    Als sie an sich heruntersah und das schlichte weiße Kittelkleid betrachtete, das man ihr gegeben hatte, fühlte Lua sich eingeschüchtert. Wie benahm man sich in einem Kloster? Und wo musste sie überhaupt hingehen? Ihre Sorge, sich womöglich zu verirren, war jedoch unbegründet. Als sie vorsichtig die Tür öffnete, sah sie, dass direkt davor eine junge Nonne auf sie gewartet hatte. Schweigend führte sie Lua durch lange, schmucklose und hallende Wandelgänge, deren weißer Putz schimmelte und sich an vielen Stellen von der Decke löste. Das Ganze machte einen verwahrlosten Eindruck, wenngleich die Steinböden auf Hochglanz poliert waren und alles reinlich wirkte.
    Sie gelangten zu einem großen Saal, in dem etwa fünfzig Ordensfrauen schweigend ihr karges Frühstück einnahmen. Man wies Lua einen Platz an einem etwas abseitsstehenden Tisch zu. Eine Nonne stellte ihr schweigend eine Schüssel mit Brei sowie ein Glas Wasser hin. Lua aß mit großem Appetit, obwohl das Mahl weiß Gott nicht sehr schmackhaft war. Sie dachte an die Lebensmittel, die sie am vergangenen Abend aus der Küche des Bordells mitgenommen hatte, sagte sich aber, dass sie diese auch später noch würde vertilgen können.
    Kaum hatte sie den letzten Bissen heruntergeschluckt, trat wieder eine andere Nonne auf sie zu und gab ihr zu verstehen, sie möge ihr folgen. Man führte sie durch eine ganze Reihe weiterer langer Gänge, bis sie vor einer geöffneten Holztür anlangten.
    »Die Frau Oberin erwartet dich schon«, sagte die Nonne und wandte sich mit gesenktem Haupt von Lua ab.
    Lua klopfte an die Tür, weil sie nicht wagte, ohne vorherige Aufforderung den Raum zu betreten.
    »Komm herein.«
    Lua sah sich einer älteren Frau gegenüber, die an einem riesigen Schreibtisch hockte und hinter den Bücherbergen klein und verloren wirkte. Ihr Gesicht war sehr weiß und glatt, obwohl die Frau mindestens sechzig Jahre alt sein musste. Weder die strenge Ordenstracht noch der vollständige Mangel an Schmuck konnte davon ablenken, dass es sich hier um eine wahrhaft feine Dame handelte. Oder vielleicht war es auch gerade die Abwesenheit von Zierat und Putz jeglicher Art, die die Vornehmheit der Frau noch betonte.
    Lua knickste und sagte leise: »Guten Morgen, Mutter Oberin.«
    »Guten Morgen, Maria Fernanda.«
    Lua zuckte zusammen. Richtig, erinnerte sie sich, diesen Namen hatte sie letzte Nacht bei ihrer Ankunft hier angegeben. Sie sah die Äbtissin an und merkte, dass die Frau jede Reaktion ihres Gastes registriert hatte. Sie würde vorsichtiger sein müssen, denn dieser Nonne würde sie so schnell nichts vormachen können.
    »Du siehst nicht aus wie eine Dirne.«
    »Oh, nein, Herr bewahre, ich bin auch keine!«
    »Was bist du denn?«
    »Eine …« Haussklavin, wäre es Lua beinahe herausgerutscht, aber sie hatte sich schnell wieder im Griff. »Eine Näherin.«
    »Soso. Und wo arbeitest du?«
    »In der Hauptstadt natürlich. Ich bin eine Freie, denn mein Vater, ein Schmied, hat sich freigekauft.«
    »Wie schön für dich. Wie heißt er denn, dein Vater?«
    »José dos Santos, Schwester.«
    »Und warum hat er nicht besser auf dich aufgepasst?«
    »Ich war auf dem Weg zu einer Kundin, der Sinhá Dona Isabel in der Rua dos Sete Milagres, und ich war schon spät dran, so dass mich die Dunkelheit überraschte, und da ergriffen mich plötzlich zwei Männer und schleppten mich in dieses fürchterliche

Weitere Kostenlose Bücher