Das Lied des roten Todes
flüstert: »Ich weiß, dass du wütend auf Will bist … du sprichst nicht mit ihm … aber du könntest ihn haben, wenn du willst. Wir beide wissen das. Sogar Elliott weiß das. Manchmal müssen wir anderen ihn nur ein paar Minuten ansehen.«
Sie schenkt mir ihr böses Lächeln, und ich wundere mich, wie falsch sie die Situation eingeschätzt hat. Will will mich nicht. Vielleicht war das früher einmal so, aber jetzt steht zu viel Schuld zwischen uns. Und ich habe genug Selbstwertgefühl erlangt, um nicht wieder auf ihn hereinzufallen.
Das Schiff macht einen Satz, und dann noch ein paar, und dann fühlt es sich so an, als hätten wir das Dach hinter uns gelassen. Bevor wir die Schreie gehört hatten, hatte ich es fast geschafft, Elliott davon zu überzeugen, zur Stadt zurückzukehren. Wohin fahren wir jetzt? Ich stehe auf, um an Deck zu gehen, aber Thom geht zur Tür der kleinen Kabine und bedeutet mir, dass ich mitkommen soll. Henry liegt zusammengerollt auf einem der Feldbetten, und Elise schaut auf, als wir eintreten, verliert aber sofort wieder das Interesse an uns.
»Miss April ist kränker, als sie weiß«, sagt Thom ohne jede Vorrede. »Ich habe schon viele Leute gesehen, die die Seuche hatten. Niemand von uns weiß, warum die einen sterben und die anderen nicht. Zumindest wussten wir es nicht, bis der Reverend gekommen ist.«
Seine Stimme wird leiser und ehrfurchtsvoll, als er von Malcontent spricht.
»Der Reverend? Wieso bist du mit uns geflohen, wenn du so gut von ihm denkst?« Ich mustere sein Gesicht genau.
»Ich hatte Angst vor den Flammen und der Flut. Aber egal, was er tut, Malcontent ist der einzige Mensch, der nicht die Seuche hat und mich ansieht, als würde es ihm nichts ausmachen.«
Wie zum Beweis dieser These beginnt die wunde Stelle an seiner Wange zu nässen, und ich muss mich zwingen, den Blick nicht abzuwenden.
»Hör zu … du musst Miss April zurück zur Stadt bringen.« Als er ihren Namen sagt, wird er tiefrot.
»Dann kann man also nichts tun?«, frage ich. »Die Leute, die wie sie sind und zu eurer Siedlung kommen, sterben alle?«
»Nicht alle«, sagt er weich. »Der Reverend hat sich entschieden, einige zu retten. Vielleicht rettet er auch sie. Seine Tochter.«
Malcontent hatte April gesagt, dass er sie heilen könne. Aber ich traue ihm nicht. Trotzdem ist es eine Möglichkeit, falls wir meinen Vater nicht finden.
»Danke, dass du es mir gesagt hast«, sage ich.
»Sie hat nicht mehr viel Zeit, Miss«, sagt er ernst. Und ich weiß, dass er die Wahrheit sagt.
Henry folgt mir zurück in die Hauptkabine und klettert auf meinen Schoß, drückt sein Gesicht an meinen Hals. Selbst im schwachen Licht der einzigen Laterne kann ich einen neuen Fleck an Aprils Hals sehen. Ich sorge dafür, dass Henrys Maske richtig sitzt, und kümmere mich dann um meine eigene.
Sie erhascht meinen Blick und verzieht das Gesicht. Scham wallt in mir auf, vor allem, nachdem Thom mir gerade erzählt hat, wie er die Blicke empfindet, mit denen wir ihn ansehen. Aber ich kann nicht anders, ich muss Henrys Maske trotzdem noch ein zweites Mal überprüfen.
»Fühlt es sich schrecklich an?«, frage ich.
»Ja. Es juckt, und ich sehe …« Ihre Stimme versiegt. »Ich sehe jeden Tag schlimmer aus«, sagt sie schließlich. »Du hast deine Kosmetiktasche. Vielleicht können wir etwas dagegen tun.« Sie holt ihren kleinen Spiegel aus der Tasche und zuckt zurück, als sie ihr Spiegelbild sieht. »Zuerst du. Zumindest du bist noch hübsch.« Obwohl ich unruhig bin, sitze ich still da, während sie mir die Haare aus dem Gesicht schiebt und sie dann im Nacken zu einem Dutt zusammenbindet. »Wir brauchen ein paar Federn«, murmelt sie. Ich lächele wider Willen.
Das Mädchen, das wir gerettet haben, beobachtet uns. Ihre Miene ist sehnsüchtig. April mag mit ihrer Liebe zu allem, was leuchtet und glitzert, dümmlich wirken, aber sie hat mir geholfen, über den Tod meines Bruders hinwegzukommen. Selbst jetzt kann sie mich zum Lächeln bringen. Hat dieses Mädchen, das uns so angespannt ansieht, jemals eine Freundin gehabt? Es ist schwer, Freunde zu finden, wenn alle dabei sind zu sterben.
»Wo hast du gelebt?«, fragt April. Sie kennt nur wenige Gebiete in der Stadt, aber es ist besser, mit dem Mädchen zu sprechen, als es zu ignorieren.
»Wo immer mein Bruder einen Platz finden konnte«, sagt das Mädchen. »Wo immer wir zusammen waren, war unser Zuhause.«
»Wie heißt du?«, fragt April.
»Mina«, antwortet
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