Das Lied des roten Todes
dagegen an. April drückt mir die Schulter, dann fängt sie an, die restlichen Fläschchen mit Haarfärbemittel auf der Kommode auf der anderen Seite des Zimmers aufzureihen.
»Du bist blass. Wir brauchen mehr von dem Glitzerlidschatten«, sagt sie.
»Ja«, stimme ich ihr zu. »Das brauchen wir.«
»Ich habe noch einen Rest in Elliotts Zimmer, aus der Zeit, bevor wir die Stadt verlassen haben. Ich werde Mina rufen, damit sie ihn holt.« Ihr neuer Schützling scheint glücklich darüber zu sein, Aprils Besorgungen ausführen zu dürfen.
April hat mir in meinen dunkelsten Momenten geholfen, und jetzt tut sie dasselbe für dieses zarte Mädchen. Als Mina in das Zimmer zurückkommt, ist April mit meinen Haaren fertig.
»Es ist wunderschön«, sagt Mina.
»Setz dich hin«, befiehlt April. »Ich werde dir auch ein Make-up verpassen.« Das Mädchen lächelt, aber ihr Gesichtsausdruck bleibt traurig. Sie trauert immer noch um ihren Bruder, und jedes bisschen Glück wird von Schuldgefühlen begleitet. Mina zieht sich einen Stuhl heran, und April legt sorgfältig eine Reihe von Make-up-Pinseln auf ein silbernes Tablett. »Mach die Augen zu«, sagt sie zu Mina und schmiert ihr etwas auf die Augenlider.
»Erzähl mir etwas von deinem Bruder«, sage ich.
Mina reißt abrupt die Augen auf, und April macht Tststs . Sofort macht Mina sie wieder zu. Die Stille zieht sich so lange hin, dass ich schon denke, sie will gar nichts sagen, oder sie ist immer noch wütend auf mich. Aber schließlich antwortet sie.
»Er hatte ein schiefes Lächeln«, sagt sie. »Er hat mich vor dem Waisenhaus bewahrt. Er hat dafür gesorgt, dass man sich immer um mich gekümmert hat.«
»Mein Bruder hat gern Dummejungenstreiche gemacht«, sage ich. »Ich habe es gehasst, wenn er mir eine Spinne ins Bett gesetzt hat oder aus irgendeinem Versteck hervorgesprungen ist und mich erschreckt hat. Aber ich vermisse sein Lachen.«
»Zumindest hatte er Sinn für Humor«, sagt April. »Elliott war immer zu ernst für Dummejungenstreiche. Viel zu ernsthaft.« Sie zieht eine Augenbraue hoch und sieht mich an.
»Elliotts Augen machen mir Angst«, sagt Mina. »Ich habe das Gefühl, er kann alles sehen. Dass er durch Leute durchsehen kann. Aber Wills Augen sind verträumt.«
»Wills Augen sind verträumt«, pflichtet April ihr bei und wirft mir einen weiteren wissenden Blick zu.
April nimmt eine Haarsträhne von mir und untersucht die Farbe. Ihre Finger fühlen sich wärmer an, als sie es sollten, als sie meine Stirn berührt. Ich lege meine Hand an ihre Wange. Sie ist immer noch fiebrig.
»Mach die Augen zu, Araby«, sagt April. »Wir haben dieses glitzernde Zeug nicht umsonst hier.« Und dann streicht der Pinsel über meine Lider, federleicht, und ich werde für einen Moment in die einfache Welt zurückbefördert, in der es nur darum gegangen war, sich für unsere Abende im Debauchery Club fertig zu machen. »Perfekt.« April dreht mich zum Spiegel um.
Mina klatscht in die Hände. »Oh, es ist toll.« Ich werfe ihr einen Blick zu, um zu sehen, ob sie es ernst meint oder mich verspottet. Ihre Augen glänzen. Sie klatscht wieder in die Hände, als wollte sie betonen, wie sehr es ihr gefällt.
Ich starre mich an. April hat es schon wieder getan. Beim letzten Mal hatte sie meine Haare violett gefärbt. Dieses Mal hat sie die Hälfte in einem dunklen Mitternachtsblau gefärbt, das im Kerzenlicht schimmert.
Ich sehe vollkommen neu aus. Nicht mehr wie die Tochter des Wissenschaftlers. Nicht mehr wie die Zwillingsschwester von Finn. Einfach nur wie Araby.
»Danke«, sage ich.
April lächelt.
Schritte im Flur lenken mich ab. Ist Elliott zurückgekehrt? April wirkt nicht überrascht, als ich mich entschuldige und zu Elliotts Zimmer laufe. Aber dort ist er nicht.
Wieder in meinem eigenen Zimmer auf der anderen Seite vom Flur, finde ich eine Feder und Tinte und schreibe sorgfältig eine Nachricht an Malcontent. Ich teile ihm mit, dass ich mich ihm als Tausch für Aprils Leben ausliefern möchte, und wo er mich finden kann. Auch wenn der Mann vielleicht nicht recht gehabt hat und Vater doch noch am Leben ist, kann ich keine Zeit mehr damit verschwenden, nach ihm zu suchen. April hat keine Zeit mehr.
Ich schiebe den Brief in meine Tasche und öffne die Tür, um in den Keller zu gehen und nach einem Gang zu suchen, der mit einem von denen verbunden ist, die Malcontent benutzt. Aber Will kommt den Flur entlang, zieht Henry hinter sich her, und ich kann sofort
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