Das Lied des roten Todes
den ich seit Jahren an ihm gesehen habe. Ich wende mich ab, damit er nicht sehen kann, wie wütend mich das macht. Es ist nicht nötig, dass Elliott sieht, wie schwach mein Vater ist. Elliott ist ein Experte darin, Schwäche für sich auszunutzen.
Als wollte er eine Art Wiedergutmachung leisten, legt mir mein Vater eine Hand auf die Schulter. Er nimmt ein kleines Fläschchen aus einer Innentasche seiner Weste. »Hast du deins getrunken?«
Ich nicke. »Schützt es mich vor dem Roten Tod?«, frage ich.
»Ja.«
»Gib Elliott etwas davon«, sage ich. Und dann, weil er immer noch mein Vater ist, füge ich hinzu: »Bitte.«
Vater strafft die Schultern. Er hat mir aufgetragen, mit Elliott zu gehen, aber er hat unsere Freundschaft nie geschätzt. Elliott verschränkt die Arme vor der Brust und grinst selbstgefällig.
»Sie lieben sie nicht«, sagt Vater.
Aber Elliott hat gesagt, dass er es tut. Erst vor wenigen Augenblicken. Und ich habe nicht darauf geantwortet. Das gehört nicht zu den Dingen, die er ignorieren wird.
Vater rollt das Fläschchen zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, als würde er nachdenken.
»Gib ihm das Fläschchen«, sage ich. »Ob es dir gefällt oder nicht, Elliott tut viel Gutes für die Stadt.«
Vater reicht Elliott das Fläschchen. »Trinken Sie die Hälfte.«
Er tut es, ohne ein Wort zu sagen. Ich nehme es ihm ab und verschließe es wieder mit dem Korken, bevor ich es in meine Tasche stecke. »Ich brauche noch eins«, sage ich zu Vater. Das wird für Henry, Elise und Will reichen.
Vater holt ein zweites Fläschchen aus seiner Westentasche, und ich reiße es ihm aus der Hand. Elliott grinst weiter auf seine leicht spöttische Art, aber ich sehe die Wut in seinen Augen. Er weiß, dass dieses Fläschchen für Will ist. Die Geste mag unschuldig sein, der Versuch, einen Freund und die Kinder zu schützen. Aber sie kommt zu rasch, nachdem ich seine Liebeserklärung ignoriert habe. Er bedeutet mir etwas. Aber ich liebe ihn nicht.
Seine Augen verengen sich, und etwas verändert sich zwischen uns.
Wir können nicht hierbleiben. Wenn Vater nicht in der Lage ist, April zu helfen, ist der Weg klar, den ich einschlagen muss. Ich drücke mir meine Maske auf das Gesicht und halte ihm seine hin. Er nimmt sie, gibt mir dafür den Brillantring.
Ich nehme ihn, aber ich werde ihn nicht tragen. Ich lasse ihn in meine Tasche fallen.
Elliott stößt ein kurzes, hässliches Lachen aus, als würde meine Geste etwas bestätigen, das er sich schon gedacht hat. Ich sehe in seine Augen und versuche zu verstehen, aber er hat sich jetzt vor mir verschlossen.
»Ich werde dich zu deiner Freundin begleiten«, sagt Vater. »Wenn ich sonst schon nichts tun kann, habe ich eine Salbe, die zur Beruhigung ihrer –«
»Das ist genau das, was wir wollen«, schneidet Elliott ihm das Wort ab. »Meine Schwester beruhigen. Während sie stirbt.« Elliott zündet sich eine Zigarette an, während Vater seine kleine Arzttasche aufnimmt.
»Es tut mir leid, dass sie sich mit der Seuche infiziert hat«, sagt Vater. »Es gibt Wege, die Ausbreitung zu verhindern. Ein weißes Pulver.« Wir gehen durch den Garten zurück, während er das sagt. »Prospero lässt uns nicht genug von dem Impfstoff herstellen, aber es gibt ihn. Wenn man allerdings eine von beiden bereits bekommen hat … kann man nicht mehr viel tun.«
»Ich muss alles über das Pulver wissen«, sagt Elliott. »Wie es gemacht wird, wie es verteilt wird. Helfen Sie mir?«
Vater seufzt. »Ich schätze, das ist besser, als zuzusehen, wie die Welt zerfällt. Etwas, womit wir uns die Zeit vertreiben können, während die Leute zerstören, was von der Stadt noch übrig ist.«
Ich hasse diese Entmutigung. Vaters Gesicht ist in den letzten Wochen so runzelig geworden. Trotz meiner Wut und meiner Enttäuschung möchte ich die Sorge in seinem Gesicht glätten.
Er will noch etwas anderes sagen, als die Metallluke in der Nähe erzittert. Jemand versucht, durch die Besenkammer unter uns in den Garten zu gelangen.
Vater eilt zur Luke und legt einen Hebel um, schließt die anderen aus und uns ein. Er weiß nichts von der Tür, die von Penthouse A hierherführt. »Kommt schnell«, sagt er. »Das muss Malcontent sein. Seine Männer suchen nach mir. Wir können ein Fenster einschlagen und durch eine der Wohnungen entkommen.«
»Es führt trotzdem nur eine einzige Treppe nach unten.« Elliott geht ruhelos hin und her. »Sie müssen sie nur versperren. Wir werden uns den Weg
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