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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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aufbrechen müssen.»
    «Aber
warum
müssen wir das tun?»
    Asny zuckte mit den Schultern. «Vielleicht haben die Götter es ihr gesagt.»
    Der Gedanke war auch Aki gekommen. Er seufzte. Es tat ihm leid, dass er sich Asny gegenüber so abweisend verhielt und ihr beim Packen nicht geholfen hatte.
    Er rang sich ein Lächeln ab. «Wo ist sie überhaupt hingegangen?»
    «Sie wollte Gydas Grab schmücken.»
    Sie drehten sich zur Trolleiche um und sahen den vom Schnee befreiten Grabhügel.
    «Vielleicht sucht sie etwas, was sie auf das Grab legen kann», meinte Asny.
    In dem Moment knackte irgendwo im Wald ein Ast. Das Geräusch kam nicht aus der Richtung, in der Gydas Grab lag.
    «Hast du das gehört?», fragte Asny.
    Aki nickte. War das Velva gewesen? Oder gar Ketil, der es sich doch noch anders überlegt hatte?
    Asny formte mit den Händen einen Trichter vor dem Mund und rief laut Velvas Namen. Als sie keine Antwort erhielt, rief sie ein zweites und ein drittes Mal.
    Merkwürdig, dachte Aki, selbst wenn es Ketil gewesen sein sollte, hätte er sich bestimmt bemerkbar gemacht. Er überlegte, ob sie nachschauen sollten, entschied sich aber dagegen, weil sie dann ihre Sachen unbewacht zurücklassen müssten.
    «Ruf mit», forderte Asny ihren Bruder auf.
    Sie riefen, so laut sie konnten. Doch ihre Fragen verhallten unbeantwortet im Wald.
    Aki spürte ein Kribbeln im Nacken.
    Da brach erneut ein Ast.
    «Vielleicht ist es ein Tier», meinte Asny, «ein Wildschwein oder ein Reh. Oder ein Troll.»
    «Jedes Tier wäre bei dem Lärm, den wir machen, längst geflohen.»
    Er glaubte auch nicht, dass es ein Troll oder ein Waldgeist war. Velva hatte ihnen von diesen geheimnisvollen Wesen erzählt. Wenn es sie aber in diesem Wald gäbe, wären sie ihnen längst begegnet.
    Asny kam näher an Aki heran. «Das ist mir unheimlich.»
    Aki bemühte sich, sich seine eigene Unruhe nicht anmerken zu lassen. Er war wieder der einzige Mann in seiner Familie und fühlte sich daher für den Schutz der anderen verantwortlich. Was sollte er tun? Sie konnten nicht einfach weglaufen und Velva zurücklassen.
    Und wenn es Blutmäntel waren?
    Aki kam ein schrecklicher Gedanke, den er sich aber sogleich verbot. Nein! Ketil mochte sich davongestohlen haben. An die Blutmäntel würde er sie jedoch niemals verraten.
    Dann brach zum dritten Mal ein Ast. Wer auch immer durchs Unterholz schlich, verhielt sich nicht gerade geschickt.
    Aki kniff die Augen zusammen. Die ganze Zeit hatte er angestrengt in den Wald gestarrt, doch bislang nichts erkennen können. Aber eben gerade war da was gewesen. Eine Bewegung! Ein Schatten, gleich dort hinten bei den Birken! Ja, jetzt war er sich sicher, zwischen den Birken waren über dem hellen Schnee die Umrisse einer menschlichen Gestalt zu sehen – nein, die Umrisse von zwei Gestalten.
    «Wir müssen verschwinden!», stieß er aus.
    Asny schaute ihn überrascht an. «Und was wird aus Mutter?»
    «Wir laufen in den Wald und verstecken uns. Wir kommen später zurück. Los!»
    Da stieß Asny einen gellenden Schrei aus.
    Zwei Männer stürmten zwischen den Bäumen hervor und rannten auf die Lichtung. Sie hatten Schwerter in den Händen, Kurzschwerter, deren Klingen aufblitzten.
    Aki erkannte die Männer sofort wieder.

39.
    «Haben wir dich, Hurensohn!»
    Grims triumphierendes Gelächter hallte über die Lichtung. Er näherte sich den Zwillingen von der linken Seite, sein Vater Geirmund kam von rechts.
    Das plötzliche Auftauchen der Sklavenhändler hatte Asny so überrascht, dass sie wie angewurzelt stehen geblieben war. Aki, der schon auf dem Sprung war, verharrte neben ihr. Er konnte seine Schwester nicht allein zurücklassen, und mittlerweile war die Gelegenheit zur Flucht sowieso vorbei. Hinter ihnen versperrten das Haselgestell und der Erdhügel den Weg, von den Seiten näherten sich Grim und Geirmund.
    Asny zitterte am ganzen Körper. In ihrer Verzweiflung klammerte sie sich an Aki.
    «Runter auf die Knie!», brüllte Geirmund.
    Der Alte hatte sich ebenso wie sein Sohn vom Aussehen her kaum verändert. Das dünne Haar stand von Geirmunds Kopf ab. Blasse Haut spannte sich um seine Schädelknochen, und über seine Stirn verlief eine Ader, dick wie ein Regenwurm.
    Aki gehorchte und zog die an ihm hängende Asny mit auf die Knie.
    «Das Warten hat sich gelohnt», stieß Grim lachend aus und bleckte die gelben Zähne im schiefen Gesicht. «Den ganzen Winter haben wir nach euch gesucht und überall herumerzählt, dass wir

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