Das Lied des Todes
deren Mitte eine große Pfütze war. Ketil bugsierte den Karren auf der linken Seite um die Lache, während Ulf gezwungen war, die andere Seite zu nehmen. Dadurch wurde das Gespräch zumindest kurz unterbrochen. Kaum gingen sie jedoch wieder nebeneinander her, wiederholte der Händler seine Fragen.
«Ich hatte viel über die Mark gehört», antwortete Ketil. «Als sich mir die Gelegenheit zu dieser Reise bot, habe ich sie ergriffen. Ich wollte mir ein eigenes Bild von der Gegend und den Menschen machen …»
«Bist du unserem Herrn begegnet, dem Markgrafen?»
Ketil spürte ein Kribbeln auf seiner Haut. «Nein.»
«Aber doch bestimmt dem Bischof?»
Allmächtiger, dachte Ketil, unternimm bitte irgendetwas, damit dieser Kerl endlich seinen Mund hält.
«Du meinst Bischof Poppo?», erwiderte er.
«Natürlich, es gibt nur einen Bischof in der Mark.»
«Ich … ich wollte ihn im vergangenen Herbst aufsuchen, doch er scheint ein vielbeschäftigter Mann zu sein …»
«Wo hast du nach ihm gesucht?»
«In Haithabu.»
«Ach, du warst in Haithabu. Soviel ich weiß, und das ist eine ganze Menge, war Bischof Poppo den Herbst über die meiste Zeit in der Stadt. Ich habe ihn dort häufig gesehen. An dich kann ich mich allerdings nicht erinnern – und du bist wahrlich kein Mann, den man einfach so übersieht …»
Ketil räusperte sich übertrieben laut. «Das Reden bekommt meinem Hals nicht. Ich lag noch bis vor wenigen Tagen mit einer Krankheit nieder.»
Dann täuschte er einen heftigen Hustenanfall vor, würgte und spuckte. Ulf wich sofort zwei Schritte von ihm ab. Vermutlich hatte er Angst, sich anzustecken. Den Abstand behielt der Händler zu Ketils Erleichterung auch für den restlichen Weg bei. Und er hielt den Mund, ließ es sich aber nicht nehmen, ab und zu skeptische Blicke auf Ketil zu werfen.
Eine Weile später erreichten sie die ersten Hütten und Gehöfte der Siedlung Hygelac. Ulf bedankte sich für die Hilfe und händigte Ketil die versprochenen Münzen aus. Mit den Worten, dass er nun den Mann suchen müsse, der ihm die Ware abkaufen und dann verschiffen wolle, verabschiedete er sich, winkte Ketil im Gehen noch einmal zu und war verschwunden.
Ketil beeilte sich, zum Hafen zu kommen.
38.
«Aki, bitte mach schneller», rief Asny.
Es war bereits Nachmittag.
«Komme ja schon», knurrte Aki, der mit den letzten Töpfen und Schüsseln beladen aus der Höhle kroch.
Er schleppte die Sachen zu dem Gestell, das die Zwillinge aus Haselstangen gebaut hatten. Angel- und Jagdgeräte sowie Decken und Kleider hatten sie bereits verpackt. Nachdem Aki die Töpfe und Schüsseln dazugelegt hatte, begann Asny alles mit Schnüren zu befestigen und spannte schließlich noch eine Decke darüber. Bei dem bevorstehenden Marsch durch das unwegsame Gelände durfte nichts verloren gehen.
Aki stand dabei, ohne seiner Schwester zur Hand zu gehen. Er fühlte sich kraftlos. Vor allem aber war er maßlos enttäuscht von Ketil, der sich davongestohlen hatte wie ein Dieb.
Natürlich wären weder Aki noch Asny ohne ihre Mutter mit nach Colonia gereist. Es war für die Zwillinge undenkbar, sie allein im Wald zurückzulassen. Sie gehörten zusammen, was auch immer geschah. Dass Ketil aber ohne ein Wort des Abschieds gegangen war, nagte an Aki, machte ihn traurig und wütend zugleich.
Nach dem Gespräch gestern Nacht hatte er gehofft, Ketil würde es sich noch einmal anders überlegen und bei ihnen bleiben. Vor allem hätte er niemals angenommen, dass Ketil so schnell verschwinden würde. Aber als Aki den verwaisten Schlafplatz gesehen hatte, war es ihm gleich merkwürdig vorgekommen. Der Mönch war häufig der letzte gewesen, der aufstand. Aki hatte überall nach ihm gesucht und war schließlich den Spuren bis zum Stein gefolgt, wo er die drei Münzen fand. Auch stellte er fest, dass das Buch verschwunden war. Kurz hatte Aki überlegt, den Spuren weiter zu folgen. Vielleicht konnte er Ketil einholen und ihn umstimmen. Aber er hatte den Gedanken wieder verworfen. Ketil hatte sich entschieden.
«Du kannst es nicht ändern», sagte Asny und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Inzwischen war das Gestell für den Abmarsch vorbereitet. Nun fehlte nur noch Velva.
«Geh sie holen», bat Asny. «Es wird Zeit.»
«Warum warten wir nicht bis morgen früh? Es wird bald dunkel. Siehst du nicht, was für lange Schatten die Bäume schon werfen?»
«Du warst doch dabei, Aki. Mutter hat entschieden, dass wir noch heute
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