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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Frau in sich zusammensackte, ließ Thankmar sie los, damit ihr Gewicht ihn nicht mit hinunterzog. Dann beugte er sich über die sich vor Schmerzen windende Frau und schob seine Hand in den Ausschnitt ihrer Tunika. Er tastete zwischen ihren fleischigen Brüsten herum, bis er auf einen fingerlangen Holzstab stieß, den sie an einem Lederband um den Hals trug.
    Als er den Stab hervorzog und sein Blick darauffiel, zuckte er zusammen, als habe er glühende Kohlen angefasst. Wie Gunnlaugs Oberschenkel war auch der Stab mit Zauberzeichen verziert, die die Heiden Runen nannten.
    Bei Gott, er hatte den Beweis!
    «Rede!», zischte er in Gunnlaugs Ohr. «Rede – oder ich töte auch noch deine Kinder!»
    Gunnlaug schloss die tränenfeuchten Augen. Dann nannte sie endlich den Namen, den Thankmar hören wollte.

4.
    Aki fürchtete sich vor dem nächsten Morgen.
    Doch als er jetzt, am Vorabend des wichtigsten Tages in seinem jungen Leben, dem Gesang seiner Mutter lauschte, vergaß er für einen Moment seine Sorgen. Er liebte es, Velva singen zu hören, und am liebsten hatte er das Lied, das sie ihm und seinen beiden Schwestern an diesem Abend vorsang.
    «Von Süden die Sonne, des Mondes Gesell. Sie schlang die Rechte um den Rand des Himmels. Die Sonne kannte ihre Säle nicht. Die Sterne kannten ihre Stätte nicht, und der Mond, er kannte seine Macht noch nicht …»
    Das Lied hatte Dutzende Strophen. Aki hatte sie schon so oft gehört, dass er sie auswendig kannte. Sie handelten von der Schöpfung der Welt und vom Untergang der Götter. Da gab es Zwerge, Riesen, menschenähnliche Wesen, den Fenriswolf, der seine Ketten zerreißt, um die Welt zu verschlingen, und vieles, vieles mehr, das Aki sich in seinen Gedanken lebhaft vorstellen konnte.
    Während Velva sang, streichelten Aki und seine Schwester Asny die kleine Gyda, die auf dem Bett zwischen ihnen lag. Gyda hing gebannt an den Lippen ihrer Mutter. Die Kleine war erst vier Jahre alt, Aki und seine Zwillingsschwester Asny waren zwölf.
    Allerdings war Aki als Erster von ihnen auf die Welt gekommen, was der große Bruder seiner Schwester gern unter die Nase rieb. Beide hatten sie die grünen Augen ihrer Mutter, ihre Haare waren blond und schulterlang. Bis vor einigen Jahren hatte man sie kaum auseinanderhalten können, obwohl sie Junge und Mädchen waren. Doch mit der Zeit wurden Akis Züge kantiger, Asnys hingegen weicher und ihre Körperformen weiblicher.
    Summend begleiteten die Zwillinge Velvas Gesang.
    Hin und wieder zuckte Gyda zusammen. Dann schreckte sie wieder hoch, kicherte glucksend und kommentierte ihre eigene Überraschung mit Worten, die wie das Gurren einer Taube klangen und die niemand verstand. Zumindest kein Mensch.
    Velva war davon überzeugt, dass es die Götter waren, die durch Gyda sprachen. Ja, sie glaubte sogar, dass Gyda, deren Verstand unterentwickelt war, ein Bote der höchsten Götter sei.
    Velva sang gerade von Odin, der seinen Speer ins Gegnerheer schleuderte, woraufhin der erste Krieg in die Welt kam, als Gyda endlich einschlief.
    Die Zwillinge rückten von ihrer kleinen Schwester ab, damit ihre Mutter sie mit der Decke aus Otterfell zudecken konnte. Dann schmiegte sich Velva ganz eng an Gyda und schloss die Augen. Kurz darauf war auch sie eingeschlafen.
    Akis Mutter war einige Tage fort gewesen und erst an diesem Nachmittag zurückgekehrt. Sie hatte einen erschöpften Eindruck gemacht, wie nach einer beschwerlichen Reise. Wo sie die vergangenen Tage verbracht hatte, hatte sie nicht erzählt, und Aki hatte nicht danach gefragt. Er wusste, dass seine Mutter viele Geheimnisse hatte, auch vor ihren Kindern.
    Während Velva und Gyda ruhig schliefen, blieben Aki und Asny wach.
    Um die anderen nicht zu wecken, erhoben sich die Zwillinge leise vom Bett und schlüpften durch den Vorhang, mit dem die Schlafkammer vom vorderen Bereich ihres Grubenhauses abgetrennt war. Bei der Tür ließen sie sich auf zwei dreibeinigen Hockern nieder.
    Sie saßen kaum, als Asny ihrem Bruder wieder die besorgten Blicke zuwarf, wie sie es tat, seit sie von dem Wettbewerb erfahren hatte.
    «Mein Entschluss steht fest: Ich werde antreten», sagte Aki schnell, um Asny zuvorzukommen.
    Aber sie beugte sich nur vor, streckte die rechte Hand aus und strich mit dem Zeigefinger über Akis aufgeplatzte Unterlippe.
    Er verzog das Gesicht. Aber nicht vor Schmerzen. Die Wunde war verschorft und tat kaum noch weh. Nein, er war es einfach leid, sich von seiner Schwester Vorhaltungen machen

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