Das Lied des Todes
Wilhelm. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine tiefe Falte gebildet.
«Einige hundert vielleicht. Gegenwärtig soll das Heer bei der Diusburg lagern. Ich habe gehört, Evurhard will nach Aquisgranum kommen.»
«Aus welchem Grund?»
«Da gibt es nur zwei Möglichkeiten. Die eine ist die, die die Heerführer verbreiten lassen – dass man Otto bei seinem Feldzug gegen Berengar in der Lombardei unterstützen wird. Ihr wisst, wie wichtig dieser Krieg ist. Es hängt vieles davon ab …»
Brun holte Luft. «Nein, nicht vieles – es hängt alles davon ab! Otto muss Berengar vernichten. Sonst wird der Papst Otto nicht zum Kaiser krönen. So lautet die Bedingung. Aber nur ein Kaiser kann über ein Reich vom Nordmeer bis zum Mittelländischen Meer herrschen. Und nur dann wird es endlich ewigen Frieden geben. Nur dann wird Gott auf Erden regieren.»
Wilhelm nickte nachdenklich. «Und wie lautet die andere Möglichkeit?»
Brun verschränkte die Arme vor der Brust. Es war bereits Mitte April. In diesen Tagen wollte der König von der Augusburg aufbrechen, wo sich sein Heer sammelte. Für Anfang Mai hatte Otto einen Reichstag in Wormaza einberufen. Dort wollte er den Feldzug in der Lombardei offiziell verkünden, ebenso wie er seinen Sohn zum König wählen lassen würde, um ihn dann Ende Mai in Aquisgranum krönen zu lassen.
«Wie viele Soldaten wird Otto nach Aquisgranum führen?», stellte Brun eine Gegenfrage.
«Vier- oder fünfhundert», sagte Wilhelm. «Der Großteil des Heeres bleibt bei der Augusburg. Es wird von dort aus die Alpen überqueren. Aber beim Reichstag von Wormaza werden noch weitere Soldaten von Ottos Verbündeten sein. Ihr meint doch nicht etwa, dass …»
«Psst», machte Brun und deutete zur Tür. «Kein Wort darf nach außen dringen. Es ist bislang nur ein Verdacht – eine Möglichkeit, die wir aber sehr genau in Betracht ziehen sollten …»
«Dass Evurhard und Thankmar Otto angreifen», vollendete Wilhelm flüsternd seinen Satz.
Brun nickte. «Es gibt noch eine andere Sache, die mir äußerst merkwürdig erscheint. Es heißt, Thankmar führe das Heer an und nicht Evurhard.»
Wilhelm schüttelte ungläubig den Kopf. «Thankmar ist ein unbedeutender Graf. Woher sollte er die nötigen Reichtümer besitzen, um ein Heer gegen den König aufzustellen?»
«Das weiß ich nicht – noch nicht. Aber mir ist zu Ohren gekommen, dass er in der Mark mit harter Hand herrscht und dabei auch vor unchristlichen Methoden nicht zurückschreckt.»
«Nun, da wäre er nicht der Einzige. Und es erklärt nicht, wie Thankmar zu einer solchen Macht gelangen konnte, ein Heer zu führen. Das würde ich vielmehr Evurhard zutrauen.»
Brun machte eine ratlose Geste. «Evurhard ist auf der Diusburg nicht gesehen worden.»
Die Falten zwischen Wilhelms Augenbrauen wurden noch tiefer. «Ihr glaubt, Thankmar könnte seinen Platz eingenommen haben …»
Auf dem Gang wurden erneut Stimmen laut. Mehrmals fiel Bruns Name. Dieses Mal ließen die Soldaten den Besucher jedoch gar nicht erst bis zur Tür durch. Kurz darauf stieß jemand einen lauten Fluch aus. Dann knallte wieder eine Tür zu.
«Was sollen wir also tun?», fragte Wilhelm.
Im Haus des Abts war es wieder still geworden.
Brun trat ans Fenster, öffnete es und atmete frische Nachtluft ein. Hinter ihm zuckten die Kerzenflammen. Auf dem Klosterhof sah er im Mondschein die sich entfernende Gestalt eines sehr großen Mannes.
«Wir müssen schnell weitere Informationen über Thankmar einholen», sagte Brun in die Nacht, und er hörte, wie sich Wilhelm Wein nachschenkte.
48.
Aki lauschte den Atemzügen seiner Schwester. Sie schlief an seiner Schulter. Auch er war erschöpft. Den ganzen Tag hatten sie an den Riemen gesessen und den Wattenvogel den großen Fluss stromaufwärts gerudert. In rascher Folge hatte Fulrad Ruderkommandos gegeben. Es war kaum Zeit zum Luftholen geblieben.
Auf dem Marktplatz hatten sich Geirmund und der Graf letztlich doch nicht auf einen Preis einigen können, und Geirmund war fest entschlossen gewesen, Aki und Asny nur zusammen zu verkaufen. Nachdem sie anschließend in Staveran mehrere Tage auf Trinkwasser und Essen warten mussten, wollte Fulrad so schnell wie möglich zu einer Burg fahren. Sie lag im Herzogtum Lothringen an der Mündung des Flusses Rura in den Rhenus. Fulrad hatte erfahren, dass sich dort in diesen Tagen Hunderte Soldaten aufhielten. Die große Ansammlung von Menschen machte den Händlern an Bord Hoffnung auf
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