Das Lied des Todes
sollte mich wirklich ins Bett legen, dachte er, wahrscheinlich kommt Wilhelm auch heute nicht.
Der Erzbischof von Magontia, dessen Ankunft Brun herbeisehnte, war bereits mehrere Tage überfällig. Brun nahm an, dass Wilhelm vom Hochwasser aufgehalten wurde, da in diesen Tagen nur wenige Schiffe den Rhenus befuhren.
Er trat gegen einen Steinbrocken, der über den Boden rollte und gegen einen mit Kalk gefüllten Eimer prallte. Es war von allergrößter Wichtigkeit, dass er Wilhelm sprach. Diese Angelegenheit duldete keinen Aufschub.
Da hörte er Schritte.
Wilhelm – endlich!
Brun drehte sich zum offenen Portal um. Doch als er sah, wer da kam, stieß er einen Seufzer aus. Es waren drei Jungen, Novizen aus dem Kloster Sankt Pantaleon. Sie hatten ihre Kapuzen abgenommen und näherten sich ihm. Ihre Wangen glühten vor Eifer. Brun ahnte, was ihn erwartete.
Zwei Jungen blieben ehrfürchtig einige Schritte entfernt bei einem Steinhaufen stehen, während sich der dritte weiter vorwagte. Sein Name war Ruotger, und Brun mochte ihn sehr. Er hatte eine freundliche Art, war belesen und mit einer schnellen Auffassungsgabe gesegnet wie nur wenige Jungen in seinem Alter. Allerdings hatte er erhebliche Defizite, was seine Gesangskunst betraf, und das galt ebenso für die beiden anderen Novizen, die Ruotger im Schlepptau hatte.
«Herr Brun, wir haben geübt», sagte Ruotger mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen. Seine abstehenden Ohren waren vor Aufregung ganz rot.
«So, so», erwiderte Brun. «Geübt habt ihr! Wie schön.»
Ruotger winkte die anderen beiden zu sich. «Ja, Herr, den ganzen Morgen.»
Die Knaben öffneten die Münder wie hungrige Spatzenkinder ihre Schnäbel.
«Aber es regnet …», warf Brun ein.
Doch da stimmten die drei bereits einen Psalm an und sangen voller Inbrunst: «O Herr, verleihe dem König langes Leben, dass seine Jahre Geschlechter überdauern! Er bleibe ewiglich vor Gottes Angesicht. Gib, dass Gnade und Treue ihn behüten …!»
Brun war ein Freund der Künste, und er liebte es besonders, schönen Stimmen zu lauschen. Der Gesang der Jungen klang jedoch wie das Jaulen geprügelter Hunde. Dennoch brachte er es nicht übers Herz, sie zu unterbrechen. Er schaute in ihre leuchtenden Gesichter und sah, welche Mühe sie sich gaben und was es für sie bedeuten musste, dem Erzbischof ihre Fortschritte zu präsentieren, auch wenn keine Fortschritte festzustellen waren.
Man muss Geduld mit ihnen haben, dachte er. Geduld ist der Meister allen Handelns. Geduld ist göttlich.
«Der Herr ist König immer und ewig», psalmodierten die Knaben.
Brun bemerkte eine Bewegung beim Portal und sah fünf Männer in die Kirche kommen. Einen von ihnen erkannte er sofort – es war Wilhelm. Endlich!
Mit einer ausholenden Geste bedeutete Brun den Knaben, den Psalm zu beenden. Das Jaulen verhallte, und auf ihren Gesichtern machte sich Enttäuschung breit.
«Nein, nein», sagte Brun schnell, «ich bin stolz auf euch, meine Söhne. Ihr habt ganz hervorragend geübt. Aber nun verlangen meine Amtsgeschäfte wieder meine Aufmerksamkeit.»
«Dann dürfen wir Euch also bald eine weitere Kostprobe geben?», fragte Ruotger.
Brun nickte vage. Sein Blick war auf Wilhelm gerichtet, der mit ausholenden Schritten auf ihn zukam. Die vier Männer in seiner Begleitung, drei Soldaten seiner Leibwache und ein Geistlicher, hatten Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
«Das werden wir Bruder Wikfried erzählen», sagte Ruotger. «Der meint nämlich, wir würden das Singen niemals lernen.»
Die anderen beiden Jungen nickten zustimmend.
Brun tätschelte Ruotger den Kopf. Dann ließ er die Knaben stehen und trat Wilhelm entgegen.
Die Erzbischöfe umarmten sich zur Begrüßung. Wilhelm war Ottos erstgeborener Sohn und mit seinen zweiunddreißig Jahren nicht viel jünger als Brun. Die auffallend hohen Wangenknochen hatte Wilhelm von seiner Mutter, einer Slawin, geerbt. Sie war bei einem Feldzug gegen die Slawen in Gefangenschaft geraten und vom damals siebzehnjährigen Otto geschwängert worden.
«Ich hatte Euch schon vor Tagen erwartet», sagte Brun.
«Das Hochwasser hat unseren Hafen geflutet und viele Schiffe zerstört.»
«Dann lasst uns keine weitere Zeit verlieren.»
Wilhelm hob die Augenbrauen. «Was ist überhaupt der Grund für unser dringliches Treffen? Euer Bote hat sich nicht einmal zu Andeutungen hinreißen lassen. Er hat mir nur ausgerichtet, ich müsse so schnell wie möglich nach Colonia kommen.»
Brun warf
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